Sie sind der erste Pharmamanager, der Kirchentagspräsident ist. Gelingt der Spagat?
So wie ich pharmazeutische Industrie verstehe, gibt es da keinen Widerspruch. Unser Unternehmen hat in den letzten 20 Jahren viele Medikamente für Menschen mit schweren Krankheiten angeboten. Eine Arznei, die die Übertragung des HI-Virus von Mutter zu Kind vermeidet, stellen wir kostenfrei oder sehr kostenreduziert zur Verfügung. Wir sind vielfach in der Forschung aktiv und dienen so der Menschheit. Dieses Engagement passt gut zu den Themen des Kirchentags. Die pharmazeutische Industrie wird vielfach zu kritisch gesehen. Sie leistet ihren Beitrag zum Steigen der Lebenserwartung. Und nicht nur sie verdient an Patienten Geld, sondern auch Ärzte und private Krankenhäuser oder Apotheker.
Das heißt, Sie haben zu keinem Moment bereut, Ihr Ehrenamt übernommen zu haben?
Zuweilen habe ich mich schon sehr betroffen und getroffen gefühlt durch manche kritische Anmerkung. Auf der anderen Seite habe ich auch zustimmende Briefe bekommen.
Warum haben Sie die Aufgabe übernommen – trotz dieser Schwierigkeit?
Ich arbeite seit Jahren im Präsidium des Kirchentags mit. Ich bin bewusst erst ins Präsidium gegangen, als ich meine Aufgabe im Verband der forschenden Arzneimittelhersteller aufgegeben hatte. Ich sehe es als sehr private Aufgabe, für den Glauben einzustehen und das durch mein Engagement beim Kirchentag deutlich zu machen.
Wollen Sie dort für mehr Verständnis für die Wirtschaft werben?
Werben beim Kirchentag? – Das funktioniert nicht. Der Dialog wird aber mehr Verständnis wecken für wirtschaftliche Prozesse.
Lassen sich wirtschaftliche Zwänge und christliche Moral vereinen?
Dafür gibt es viele Beispiele. So musste auch unser Unternehmen Produktionskapazitäten abbauen. Wir haben Standorte dann aber so verkauft, dass die Mitarbeiter weiterbeschäftigt wurden. Voraussetzung für ein solches Vorgehen ist, dass nicht nur wirtschaftliche Kriterien für eine Firma maßgebend sind.
Würden Sie sonst nicht bei Boehringer-Ingelheim arbeiten?
Mir ist die Ethik ganz wichtig. Ich war immer bereit, innerhalb von 24 Stunden zu gehen, wenn es nicht mehr passt, und jederzeit wieder als Arzt zu arbeiten. Bei Boehringer-Ingelheim passt es aber sehr gut. Die Eigentümerfamilie hat mir von Anfang an gesagt, ich sei das medizinische Gewissen des Unternehmens.
Predigen Sie Ihren Kollegen diese Haltung?
Es gibt viele, die nehmen eine ähnliche Haltung ein – unabhängig von ihrem Glauben. Abgesehen davon liegt es mir nicht, als Missionar aufzutreten. Ich will lieber zeigen, dass sich mit solchen Prinzipien ein Unternehmen gut führen lässt. Das ist nicht nur gut für die Mitarbeiter, sondern befördert auch den wirtschaftlichen Erfolg.
Ist der Mindestlohn ethisch geboten?
Ich halte ihn für richtig. Allerdings mag das eine oder andere da nicht richtig bedacht worden sein – etwa ob man Zeitungsausträger mit einbeziehen soll.
Wie leben Sie den Glauben sonst im Alltag?
Ich engagiere mich in der Kirchengemeinde und in einigen Organisationen, die Unterstützung brauchen.
Sie beten nicht vor jeder großen Entscheidung in der Firma?
Ich bitte im Gebet darum, dass ich sorgsam vorgehe. Ich schiebe die Verantwortung für konkrete Beschlüsse aber nicht Gott zu.
Sie gelten als liberal. Raten Sie der württembergischen Landeskirche, die Segnung von gleichgeschlechtlichen Paaren zuzulassen?
Da nehme ich sicher eine liberalere Haltung ein als die pietistischen Kreise in der Landeskirche. Allerdings brauchen solche Veränderungsprozesse Zeit. Ich hoffe sehr, dass sich die Landeskirche hier bewegt.
Mussten Sie bei der Programmgestaltung auf den Pietismus Rücksicht nehmen und Reizthemen weglassen?
Nein. Vielmehr macht die Vielfalt der Positionen ja gerade den Wert des Kirchentags aus. Im gegenseitigen Austausch kommt man sich näher und lernt den Anderen zu verstehen.
Wie sind Sie selbst zu Ihrem tiefen Glauben gekommen?
Ich bin in einer großen Familien aufgewachsen. Da war der Glaube selbstverständlich. Aber denken Sie nicht, ich hätte keine Zeiten des Zweifels erlebt.
Ist der Kirchentag auch eine missionarische Chance für die Kirche?
Wenn es uns gelingen würde, die Zahl der Kirchenaustritte zu reduzieren, dann wäre das schon ein wunderbares Ergebnis. Ich hoffe sehr, dass das Treffen Impulse setzen wird, auch weiterhin in der Kirche zu bleiben.