Für eine qualitativ gute frühkindliche Bildung sind nach Ansicht der Bertelsmann-Stiftung verbindliche Qualitätsstandards erforderlich. Dazu gehöre vor allem genügend Personal.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Seit die Politik die berufstätige Mutter als Ideal propagiert, ist der Ausbau der Infrastruktur zur öffentlichen Betreuung von Kindern enorm vorangeschritten. Der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz hat diesen Prozess beschleunigt. Inzwischen kommen bundesweit knapp 95 Prozent der Kinder zwischen drei und sechs Jahren in einer Kita oder bei einer Tagesmutter unter und mehr als 40 Prozent der Kleinkinder unter drei.

 

Die Qualität der Betreuung bleibt hinter dem Ausbautempo jedoch zurück. Es mangelt an ausreichenden Fachkräften. Zigtausende Erzieherinnen fehlen. Die Personalkosten müssten um ein Dritteln aufgestockt werden. So lautet das Fazit einer im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung erstellten Studie, die am Freitag veröffentlicht worden ist. Hier die Befunde im Detail:

Werden Kinder gut betreut?

Die Bertelsmann-Stiftung misst den Qualitätsstandard am Personalschlüssel. Sie empfiehlt, dass im Kindergarten (drei bis sechs Jahre) eine Erzieherin rein rechnerisch für maximal 7,5 Kinder zuständig sein sollte, in Kinderkrippen (unter drei Jahren) sollte für jeweils drei Kinder eine Fachkraft angestellt sein. Dieses Ideal wird aber in keinem einzigen Bundesland erreicht. Bundesweit hat eine Krippen-Fachkraft 4,6 Kinder zu betreuen, in den Kindergärten sind es 9,6. Die Verhältnisse sind in den Bundesländern sehr unterschiedlich.

Wo gibt es die größten Defizite?

Die neuen Länder haben zwar in der Regel ein wesentlich besseres Platzangebot für Kinder. Aber die personelle Ausstattung der Einrichtungen ist deutlich schlechter als im Westen. Das fällt noch mehr auf, wenn nicht nur der nominelle Personalschlüssel für einen Vergleich zugrunde gelegt wird, sondern die Zeit, die tatsächlich für die Arbeit mit den Kindern bleibt. Oft sind Fachkräfte in Leitungsfunktion mit organisatorischen Ausgaben belegt und können sich deshalb gar nicht um die Kinder kümmern. In Sachsen zum Beispiel hat eine Krippen-Fachkraft rechnerisch 6,6 Kinder zu betreuen (statt drei, was Bertelsmann für ideal hielte). Tatsächlich seien es aber 8,8 – fast dreimal so viel wie es wünschenswert wäre. Ähnlich ist das Missverhältnis in Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Im Kindergarten hat vor allem Mecklenburg-Vorpommern Nachholbedarf. Dort werden 14,9 Kinder im Schnitt von einer Erzieherin betreut – wenn man den Zahlen auf dem Papier Glauben schenkt. Manchmal sind es sogar fast 20 Kinder, für die nur eine einzige Erzieherin zuständig ist. Auch in allen anderen ostdeutschen Ländern sind die Gruppen doppelt so groß, wie sie eigentlich sein sollten. Nahe am Optimum bewegen sich Baden-Württemberg und Bremen – aber nur auf dem Papier.

Wie ist die Lage im Südwesten?

Baden-Württemberg ist laut Bertelsmann-Studie in den Kitas „auf dem Weg zum Musterländle“. Der Personalschlüssel (eine Erzieherin für 3,3 Kinder im Schnitt) ist fast ideal – allerdings nur als rechnerische Größe. In der Realität hat jede Fachkraft 4,4 Kinder zu betreuen. In altersgemischten Gruppen ist der Personalschlüssel noch ungünstiger (6,1). Das Ergebnis, so Bertelsmann: „schlechtere Voraussetzungen für eine gute Kita-Qualität“. Besser sind die Verhältnisse allerdings nur in Bremen. In allen anderen Bundesländern ist die personelle Ausstattung der Kitas zum Teil erheblich ungünstiger. In baden-württembergischen Kindergärten kümmert sich eine Erzieherin um acht Kinder (laut Bertelsmann sind es realistisch betrachtet aber mehr als zehn). Das ist nicht ideal, aber im Bundesvergleich ziemlich gut. Bertelsmann bemängelt, dass in Baden-Württemberg „kein Anspruch auf eine bestimmte tägliche Mindestbetreuungszeit definiert“ sei. Das heißt: die Öffnungszeiten sind zu kurz und zu unflexibel. Knapp 19 Prozent der Kinder zwischen drei und sechs würden länger als 35 Stunden in der Woche betreut. Bundesweit sind es 41 Prozent. Die Bertelsmann-Stiftung rügt zudem, dass nur 27 Prozent des Führungspersonals in Betreuungseinrichtungen für diese speziellen Aufgaben komplett freigestellt seien. Im Bundesdurchschnitt ist das häufiger der Fall. Nur 13 Prozent der Kita-Leiterinnen haben einen Hochschulabschluss. Bundesweit sind es 20 Prozent.

Was ist zu tun?

Bertelsmann hat hochgerechnet, dass gemessen an ihren Idealvorstellungen bundesweit 120 000 zusätzliche Erzieherinnen eingestellt werden müssten. Allein in Baden-Württemberg wären 5150 weitere Vollzeitkräfte erforderlich. Die Stiftung beziffert den finanziellen Mehrbedarf bei den Personalausgaben auf fünf Milliarden Euro (224,5 Millionen im Land). Sie fordert zudem: „Politik und Praxis sollten sich auf bundesweite kindgerechte Standards einigen, damit alle Kita-Kinder in Deutschland gute Bildungschancen haben“, so Jörg Dräger, Vorstand der Stiftung. Dies befürwortet auch der Deutsche Caritasverband. „Bundesweit vergleichbare fachliche Standards und bessere personelle und strukturelle Bedingungen in Kindertagesstätten sind unabdingbare Voraussetzungen, um den gestiegenen Anforderungen in Tageseinrichtungen für Kinder zu entsprechen, die Persönlichkeit von Kindern sowie deren Vertrauen in das Leben zu stärken“, heißt es. Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) wirbt für höhere Qualitätsstandards in Kindertageseinrichtungen. „Wir brauchen nicht nur mehr Plätze, sondern auch gute Plätze“, erklärte sie. Schwesig bekräftigte ihre Zusage, im Herbst eine Bund-Länder-Konferenz zur Kindertagesbetreuung einzuberufen. Auf dem sogenannten Kita-Gipfel soll das Thema Qualität im Vordergrund stehen.