Streit in Walheim Bürger kämpfen gegen den Stromriesen EnBW

Auf dem Gelände des EnBW-Kraftwerks in Walheim soll von 2027 an Klärschlamm verbrannt werden. Foto: Werner Kuhnle

Im Kampf gegen eine Klärschlammverbrennungsanlage in Walheim mobilisiert die Bürgerinitiative Neckartal den Widerstand.

Ludwigsburg: Oliver von Schaewen (ole)

Wohin die Reise geht, ist für Matthias Appelt noch völlig offen. Der Sprecher der Initiative „Bürger im Neckartal“ aus Walheim im Kreis Ludwigsburg macht derzeit mit seinem Kollegen Rudi Ringwald verstärkt mobil gegen eine Genehmigung für eine Klärschlammverbrennungsanlage. Sie soll nach Willen des Betreibers EnBW im Jahr 2027 auf dessen eigenem Gelände bei Walheim in Betrieb gehen.

 

Möglichst viele Bürger sollen eine Einwendung abgeben

Eine Entscheidung trifft das Regierungspräsidium Stuttgart in einem zweistufigen Verfahren. Die Behörde hat aber zunächst eine Anhörungsrunde anberaumt. Die Zeit läuft noch bis zum 26.  März. Bis dahin wollen Appelt und Ringwald möglichst viele Bürger ermutigen, eine Einwendung abzugeben.

Errichten will die Anlage der Stromkonzern EnBW. Appelt und Ringwald sehen die Bürgerinitiative in der Rolle des Davids gegen einen milliardenschweren Goliath. Der Stromriese habe sich bislang wenig aus den bisher gesammelten rund 3500 Unterschriften gegen das Projekt gemacht, erklärt der Sozialwissenschaftler Matthias Appelt. Der 71-Jährige organisiert den Widerstand auf der einen Seite des Neckars, während sein BI-Gefährte, der 67-jährige Betriebswirt Rudi Ringwald, gegenüber auf der anderen Flussseite in Gemmrigheim kräftig für ein Nein gegen das Projekt trommelt. Den beiden Wortführern haben sich ein harter Kern von 20  Interessierten sowie 50  Helfer angeschlossen.

Ist die Klärschlammverbrennung auf dem Gelände rechtens?

Man sei nicht generell gegen die Verwertung von Klärschlamm, argumentiert Matthias Appelt. Das Projekt in Walheim sei aber vor allem dadurch motiviert, dass die EnBW ein eigenes Gelände an dieser Stelle besitze und Rentabilität anstrebe. „Es fehlt eine politisch veranlasste Bedarfserhebung des anfallenden Klärschlamms in Baden-Württemberg nach vorher festgelegten Prämissen und Kriterien.“ Die EnBW wolle ein Areal nutzen, das laut Flächennutzungsplan und Regionalplan der Stromerzeugung durch ein Kraftwerk diene, nutze es aber für die Abfallentsorgung einfach um. Der Konzern wolle dort jährlich rund 180 000 Tonnen Schlamm aus einem beträchtlichen Umkreis von 100  Kilometern verbrennen. Dabei sei ungeklärt, wer überhaupt festlege, wer für die Klärschlammentsorgung und ihre regionalen Einzugsgebiete zuständig sei.

Appelt und Ringwald hoffen auf die Kommunen. Sie könnten gegen das vom Regierungspräsidium (RP) Stuttgart eingeleitete Zielabweichungsverfahren vorgehen. Wichtig seien aber jetzt die Bürger – sie sollten ihre Einwände im Hauptverfahren vorbringen, damit sie beim Erörterungstermin am 14. Mai Gewicht haben, findet Rudi Ringwald und bietet mit der Initiative Informationsabende zum Thema „Wie formuliere ich meine Einwendung?“ am 29. Februar in Walheim und am 7. März in Gemmrigheim an. Rückenwind verspüre man aus den Gemeinden, mit denen man einen Flyer erarbeitet habe. Die Bürgerinitiative freue sich, dass die Gemeinderäte in Kirchheim und Gemmrigheim sowie der BUND Stellungnahmen gegen den Bau der Verbrennungsanlage erarbeiteten.

Die Bürgerinitiative warnt vor den Belastungen

Der Aktivist Rudi Ringwald sieht die Bewohner des Neckartals leidgeprüft, da sie jahrzehntelang die Kohlehalde und das Kraftwerk der EnBW sowie das nahe Kernkraftwerk in Neckarwestheim erdulden mussten und nun mit Schadstoffemissionen, Lärm und Klimaerwärmung sowie Verkehr und Baulärm konfrontiert würden. Besonders bedenklich stimmt Ringwald die Emission von sehr unterschiedlichen Schadstoffen wie etwa Quecksilber und Schwefeldioxid. „Sie liegen zwar innerhalb der derzeit zulässigen Grenzwerte, kumulieren aber zu riesigen Tonnagen übers Jahr.“ Auch würden sehr große Mengen gesundheitlich bedenklichen Lachgases freigesetzt. „Dafür gibt es noch keine Grenzwertfestlegungen.“

Sauer sind Appelt und Ringwald, weil die EnBW versuche, das Projekt als hochmodernes, emissionsfreies und nachhaltiges Heizkraftwerk zu verkaufen. Klärschlamm mit einem Wassergehalt von 75  Prozent zu verbrennen, sei nicht umweltfreundlich, sondern energieintensiv. „Die Umetikettierung in ein Heizwerk ist ein Hohn“, sagt Appelt und nennt als Alternative die ortsnahe Trocknung des Klärschlamms bereits in den Klärwerken, wie etwa im Nachbarort Kirchheim. Dort werde der Schlamm nur mit Sonnenenergie auf zehn Prozent wasserhaltige Trockenmasse reduziert.

Phosphor dürfe in Walheim nicht recycelt werden, sagen Experten

Der Schlamm für Walheim solle vor allem aus der Region Heilbronn-Franken und Ostwürttemberg angeliefert werden, so Appelt. Er hält den nicht realisierten Bau von kleineren regionalen Verwertungsanlagen für ein „politisches Versäumnis“.

Misstrauisch ist die BI auch, wenn das Stichwort Phosphorrecycling fällt. „Das Recycling aus Klärschlammasche ist großtechnisch noch nicht ausgereift“, sagt Appelt. Auch wenn die EnBW mit der Phosphorrückgewinnung werbe, sei sie in Walheim selbst wegen der chemischen Prozesse nicht zulässig. Das habe die Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall mitgeteilt.

Warum werden Anlagen zur Verbrennung von Klärschlamm gebaut?

Wandel
 Das für 2028 geplante Ende der Kohlekraftwerke in Baden-Württemberg wirkt sich auf den Umgang mit Klärschlamm aus. Bisher wurde er in Kohlekraftwerken mitverbrannt. Jetzt werden eigene Verbrennungsanlagen gebaut. Lange Schlammtransporte in andere Bundesländer sollen vermieden werden.

Zahl
 Das Land brauche laut EnBW bis 2029 sechs neue Anlagen. Eine soll im Restmüllheizkraftwerk in Böblingen entstehen. Dort planen Stadt und Landkreis, von 2027 an jährlich rund 120 000 Tonnen Klärschlamm aus 90 Kommunen des Zweckverbandes Klärschlammverwertung Böblingen verbrennen zu lassen.

Phosphor Der Rohstoff wird in Deutschland bislang zu 100 Prozent importiert. Er ist wichtig für Düngemittel. Kläranlagen müssen Recyclingkonzepte entwickeln. Eine Pflicht gilt von 2029 an für Kläranlagen mit mehr als 100 000 Einwohnerwerten und von 2032 an für Anlagen mit mehr als 50 000 Einwohnerwerten.

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