Kleinod in Vaihingen an der Enz Museum erzählt nicht mehr lange vom Verlust der Heimat
Der Verlust der Heimat schmerzte die Bewohner des Jauerniger Ländchens. Ein Museum in Vaihingen/Enz spendete Trost. Nach 60 Jahren rückt die Schließung näher.
Der Verlust der Heimat schmerzte die Bewohner des Jauerniger Ländchens. Ein Museum in Vaihingen/Enz spendete Trost. Nach 60 Jahren rückt die Schließung näher.
Still ist es im Museum, ganz still an diesem Vormittag an einem Tag mitten in der Woche. Dem kleinen, nur recht dürftig beleuchteten Raum in der Vaihinger Lateinschule ist die ständige Menschenleere anzumerken. Zwischen alten Trachten und Fahnen scheint die Zeit angehalten – ein Kontrast zur Stadt draußen, in der die Jahrzehnte ihre Spuren hinterlassen haben. Nach 60 Jahren ist das Museum der Heimatvertriebenen aus dem Jauerniger Ländlichen so sehr in die Jahre gekommen, dass es vor der Schließung steht.
Das Jauerniger Ländchen, ein Teil des Sudetenlandes an der Grenze zu Schlesien, erlebte gute Zeiten, aber auch schlechte. Letztere haben vor allem mit dem Zweiten Weltkrieg zu tun. Mit den Gräuel, den die Nazis verübten, vor allem im nahen Polen und in der Sowjetunion, die sie brutal überfielen.
Aus dem Jauerniger Ländchen stammt auch die Familie von Elfi Epple. Sie führt durchs Museum. Wer ihr zuhört, entdeckt selbst in der Erinnerung noch Wunden, die mehr als 75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs nur langsam vernarben. „Vertriebene sind keine Flüchtlinge, weil sie nicht freiwillig aufbrachen“, sagt sie, wohl nicht zum ersten Mal. Ein Satz, der nachdenklich stimmt. Eine Aussage, die in die heutige Zeit passt. Und eine Unterscheidung, die vor allem aus der deutschen Geschichte heraus verständlich ist. So verständlich, dass der Zuhörer sofort ins Grübeln darüber gerät, wie im Krieg erlittenes Unrecht weiterwirkt.
Wir blenden zurück – es ist das Jahr 1945. Hitler beziehungsweise seine Entourage hat kapituliert, Nazi-Deutschland hat Europa verwüstet, das Land selbst ist, besonders in den großen Städten, weitgehend zerstört. Die Reaktion auf das erlittene Unrecht lässt die Tschechen nicht lange zögern: Sie vertreiben die Deutschen, die noch in ihren Häusern geblieben sind. Im Museum erinnert ein Foto mit einer Binde und einem aufgedruckten schwarzen N an die beiden Wellen der Vertreibung: die „wilde“ und die „geordnete“, wie es Elfi Epple umschreibt. Züge, die erst nach Osten fuhren, dann nach Westen. Elfi Epple trägt diese Bilder, von denen es keine Fotografien gibt, mit sich.
Die Kulisse wirkt vergilbt im Heimatmuseum. Hier, wo einst Lateinlehrer die Tinte aus kleinen Schubladen unter den Fenstern zogen, fällt kein Taglicht herein. Eine alte Fahne steht eingerollt in der Ecke. Die Aufschrift lässt vermuten, dass es Vereine gab, die sich dem Militär andienten. Der Blick fällt auf eine Zeitleiste, welche die Geschichte der Sudetendeutschen zusammenfasst. Bauern und Bergleute aus Bayern, Hessen, Franken und Schwaben gründeten die Stadt Jauernig im 13. Jahrhundert.
Was war es für ein Leben, das die Sudetendeutschen bis zum Zweiten Weltkrieg führten? Ein hartes und mühseliges – dafür steht das Modell eines Sägewerks, das originalgetreu nachgebildet im Museum steht. Die Holzindustrie und die Landwirtschaft dominierte in dem Gebiet mit seinen hügeligen Wäldern. „Die Tschechen ließen sich im Landesinnern nieder, weil die Bedingungen dort leichter waren – die Deutschen waren technisch versierter und brachten die Mechanisierung mit“, erklärt Rudolf Tinter. Der Rentner leitete jahrzehntelang den Heimatverein. Am Rande Böhmens lebten die Deutschen in kleinen Straßendörfern weitgehend unter sich. Im Museum sind die Orte alle mit Namen genannt, samt Wappen jeweils mit einer eigenen Seite im großen Klappalbum.
Dann kam die Zeit in der Tschechischen Republik nach 1918. Deutsch war verboten, Schulen wurden geschlossen. Eine Zeit, in der die gegenseitigen Ressentiments wuchsen. Als Hitler an die Macht kam, wurde das Sudetenland 1938 aufgrund der Appeasement-Politik des englischen Premiers Neville Chamberlain „heim ins Reicht“ geholt. Es war die letzte Eskalationsstufe vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges.
Nach dem Krieg nahm Vaihingen viele Geflüchtete aus dem Jauerniger Ländchen auf. So kam es auch zur Städtepartnerschaft im Jahr 1955 und zur Gründung des Museums 1963. Viele Gegenstände von den Familien flossen in die Sammlung ein. Heute kommen nur noch ganz selten Besucher, berichtet Elfi Epple: vereinzelte Interessierte, die den Wurzeln ihrer Familiengeschichte nachgehen. Ein Weiterbetrieb lohnt nicht.
Die Geschichte des Jauerniger Ländchens soll trotzdem nicht in Vergessenheit geraten. Die Stadtarchivarin Andrea Mayer möchte einen Teil der Sammlung ins Stadtmuseums integrieren und einen Bereich gestalten. „Viele Jauerniger sind Vaihinger geworden – dem tragen wir Rechnung.“
Übersiedlung
Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Wiederherstellung der Tschechischen Republik wurden 1945/46 innerhalb weniger Monate alle 14 000 Bewohner der Stadt und des Bezirks Jauernig aus ihrer Heimat vertrieben. Einer der letzten Transporte fand in den damaligen Kreisen Vaihingen und Ludwigsburg Aufnahme, teilt die Stadt Vaihingen in ihrem Portal mit. Hunger und Not zeichneten die Menschen dieser Zeit. „Nur langsam gelang es ihnen, sich in die neue Umgebung einzuleben.“
Spuren
Von der Bedeutung der Patenschaft mit den Gemeinden des Jauerniger Ländchens 1955 zeugt neben dem Stifterfenster im Sitzungssaal des Vaihinger Rathauses auch die 1967 von den ehemaligen Jauernigern an den Bürgermeister der Patenstadt übergebene Amtskette. 1993 stiftete der Jauerniger Heimatbund ein Ehrenmal auf dem Vaihinger Friedhof. Seit Dezember 2004 schmückt eine Pferdeskulptur des Jauerniger Künstlers Ingo Koblischeck den Vorplatz der Vaihinger Stadthalle.