Der VfB tritt am Freitagabend in Dortmund an. Der BVB-Trainer Jürgen Klopp ist gebürtiger Stuttgarter – und im Ruhrgebiet schon lange Kult.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Dortmund - In dem Raum hoch oben im Westfalenstadion, das ja im Marketingdeutsch Signal-Iduna-Park heißt, geht es an diesem Mittwochnachmittag zünftig zu. Eine Delegation aus Österreich ist da, mit einer feschen Dame im Dirndl im Gepäck und allerhand Unterlagen, die von der Schönheit der Kitzbüheler Alpen künden.

 

Es gilt, einen neuen Partner für das Trainingslager in Szene zu setzen, weswegen Jürgen Klopp nun vor einer Werbetafel mit der Frau posiert. Er setzt dieses schelmische Grinsen auf, das ihn so auszeichnet und einem das Gefühl vermittelt, als gäbe nichts auf der Welt, was er lieber täte, als für dieses Foto Model zu stehen. „Schönes Dirndl“, sagt der Trainer des Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund noch, ehe es um wirklich Wichtiges geht.

Jürgen Klopp – der skifahrende Schwabe

Es geht um Sport, um den BVB, um das Spiel gegen den VfB. Fast zumindest. Zuerst fragt ihn Pressechef Josef Schneck noch: „Jürgen, willst du deiner Freude über die Partnerschaft vielleicht auch noch Ausdruck verleihen?“ Der Jürgen, ganz Profi, macht das natürlich gerne: „Ich selber konnte mir ja nur Skifahren in Ebenau leisten. Aber ich bin Schwabe, und je höher die Berge, desto besser.“ Als der österreichische Tourismuschef tatsächlich sagt, dass die Bayern, die sich dort gerne aufhalten, und die Kitzbüheler Alpen nicht zusammenpassten, ergänzt Klopp ironisch: „Die Kitzbüheler Alpen sind Arbeiteralpen. Und wir sind ein Arbeiterverein.“

Gelächter. Wie immer, wenn Jürgen Klopp in einem Raum sitzt. Zwölf Kameras sind heute auf ihn bei der wöchentlichen Jürgen-Klopp-Show mit Sidekick Josef Schneck gerichtet. Er ist das Epizentrum des öffentlichen Interesses in Dortmund. Gut 30 Minuten bester Unterhaltung, wie bei Harald Schmidt und Manuel Andrack zu deren Glanzzeiten im Fernsehen.

Jürgen Klopp ist stilprägend. Wenn Vereine heute einen Trainer suchen, dann hätten sie gerne einen Klopp-Klon. Er ist der Vorreiter der neuen Geil-ist-geil-Trainergeneration. Coaches, die sich allein schon sprachlich von der Grasfressen-Ära abheben, gepaart mit einer gesunden Prise Humor, Selbstironie und Schlagfertigkeit. Vor allem Letzteres hat Klopp neben all seinen Erfolgen Kult werden lassen. Der 44-Jährige ist der Prototyp eines Trainers im Medienzeitalter, wie am Reißbrett entworfen. Auf Youtube sind seine Interviews echte Renner. Manch einer ist etwas genervt von seiner Dauerbespaßung oder den regelmäßigen Darbietungen als testosteronstrotzendem HB-Männchen an der Seitenlinie. In der breiten Öffentlichkeit ist seine Beliebtheit aber ungebrochen.

Der Mann mit dem Dreitagebart, der immer so perfekt ist, dass man sich fragt, wie es eigentlich sein kann, dass ein Dreitagebart jeden Tag gleich aussieht, ist das Gesicht des Vereins geworden. Ein Menschenfänger, das war er schon damals in Mainz und als TV-Bundestrainer.

Draußen vor den Toren der Stadt muss er Überstunden machen. Wenn der BVB die Trainingseinheiten beendet, arbeiten sich Spieler und Trainer von links nach rechts an den am Geländer stehenden Fans ab. Klopp ist traditionell der Letzte. Hier ein Autogramm, dort ein Foto und ein Plausch. „Dat ist einer von uns“, sagt ein Zaungast. Er hat es geschafft, dass er zu der Stadt gehört wie Kohle und DAB, die Dortmunder Actien Brauerei. Die Menschen haben ihn sofort adoptiert, und er sich perfekt adaptiert. Der gläubige Christ hat als einziger Trainer einen Fanclub. Wenn es wie dieser Tage um die Tischtennis-WM geht, muss Klopp aufs Bild. „Zweimal Meister 2012!?“, steht auf dem Plakat, das ihn mit dem deutschen Bundestrainer Jörg Roßkopf zeigt.

Meister. Das können sie werden, wie schon im Vorjahr. Sie könnten eine Ära einläuten, nicht mehr Bayern-Jäger, sondern auf Augenhöhe. Davon träumt ganz Dortmund, seit das irgendwie so unpassende Glamoroso-Zeitalter den Verein fast in die Pleite trieb. Manchmal muss Klopp deshalb auch als Bremser auftreten: „Ich hatte ja schon das Gefühl, dass wir uns für einen 1:0-Sieg entschuldigen müssen.“ Als Klopp 2008 kam, baute er die eingestürzten Neubauten langsam wieder auf. Nicht mit Geld, sondern mit seiner Idee von Fußball. Schnell, jung, vertikal. Er ist der Architekt, wirkt aber nicht allein. Dortmund ist nicht allein die große Kloppo-Show, es ist mehr. „Keiner von uns hat das Gefühl, es ohne den anderen machen zu können“, sagt er und meint etwa den Sportdirektor Michael Zorc oder den Clubchef Hans-Joachim Watzke.

Jürgen Norbert Klopp ist am 16. Juni 1967 in Stuttgart auf die Welt gekommen. Groß geworden ist er in Glatten in der Provinz, zehn Kilometer von Freudenstadt entfernt. Beim dortigen SV hat er angefangen zu kicken. Er war nicht begnadet, aber ehrgeizig. „Den Fußball habe ich früh kapiert, ich konnte es nur als Spieler nicht umsetzen. Über dem Hals war ich stärker als drunter.“ Wenn man ihn fragt, wie viel Schwabe noch in ihm steckt, sagt der Diplomsportwissenschaftler: „Es gab Tage in meiner Kindheit, da dachte ich: null, wenn es darum ging, samstagmorgens aufzustehen und die Straße zu fegen.“ Er könne aber jederzeit noch den Simultandolmetscher für Auswärtige in Schwaben geben. Nur: „Die Straße fegen – des mach i net.“

Manche sagen, dass das Ruhrgebiet der neue Osten wird. Es geht bergab. Nicht erst, seit sich einige Bürgermeister lautstark für eine Abschaffung des Solis ausgesprochen haben. Die Haushalte sind aus dem Ruder gelaufen und die Schulden haben jeglichen Handlungsspielraum verstellt. Auch und vor allem in Dortmund. Die Stadt ist eine Brache, teilweise. Sozialwissenschaftler sprechen vom „Problemgebiet Nummer eins“ mit entsprechendem sozialen Zündstoff. Dortmund hat eine Arbeitslosenquote von um die 14 Prozent, in einigen abgehängten Stadtteilen ist sie deutlich höher.

Der größte gemeinsame Nenner der Stadt

Das ist das Dortmund, in dem die Borussia spielt. Das ist insofern wichtig, weil der Verein sich schon immer als integraler Bestandteil der Kultur sieht und so etwas wie der größte gemeinsame Nenner der Stadt ist. Dortmund ist Borussia. Borussia ist Dortmund. Und Jürgen Klopp ist Borussia Dortmund. Manch einem mag das Gerede vom Arbeiterverein wie unpassende Folklore vorkommen, wenn doch die Vorarbeiter des BVB viele Millionen verdienen oder der Club einen Marco Reus für 17,5 Millionen Euro verpflichtet. Aber diese Tradition ist bis heute die Seele des Vereins. Jürgen Klopp verkörpert die Identität dieses Clubs. Er hat es von Anfang an verstanden, auf der Klaviatur des Pottjargons zu spielen und die Menschen mitzunehmen, den BVB nicht als Raumschiff im Ruhrgebiet, sondern als Teil der Stadt zu verstehen.

Im Westfalenstadion ist die Show vorbei. Jürgen Klopp gibt noch schnell ein Autogramm, dann schlappt er lässig zum Aufzug. Es geht abwärts. Unter dem Arm die Unterlagen aus Kitzbühel. Mit denen klopft er am Aufzug einem Ordner leicht auf den Bauch und scherzt. „Wir arbeiten dort, wo die Bayern Urlaub machen.“