Im Fall der 41 Jahre alten Hausfrau, die vorigen Herbst ihre beiden kleinen Töchter umgebracht hat, ist am Mittwoch im Prozess am Landgericht Stuttgart plädiert worden. Der Staatsanwalt fordert wegen zweifachen geplanten und heimtückischen Mordes eine lebenslange Haftstrafe, der Verteidiger hingegen ein milderes Urteil wegen Totschlags.

Regio Desk: Oliver im Masche (che)

Köngen/Stuttgart - Die vermutlich zutreffendsten Worte am vorletzten Prozesstag im Fall der Mutter, die vorigen Herbst in Köngen (Kreis Esslingen) ihre beiden kleinen Kinder umgebracht hat, sprach am Mittwoch am Landgericht der Verteidiger der Angeklagten aus: „Unabhängig davon, zu was meine Mandantin verurteilt wird: Es gibt viele zerstörte Leben auf allen Seiten. Mit der unfassbaren Tat müssen der Vater der beiden Mädchen, die Angehörigen und meine Mandantin zurechtkommen – auch sie muss einen Weg finden, mit der Tat zu leben“, sagte der Anwalt Markus Bessler am Ende seines Plädoyers.

 

Mord oder Totschlag?

Der Verteidiger sprach sich für eine Verurteilung der Angeklagten wegen zweifachen Totschlags aus. Das Strafmaß stellte er ins Ermessen der Richter. Zuvor hatte der Staatsanwalt Thomas Schek die Taten in seinem Plädoyer hingegen als zweifachen Mord gewertet. Die Frau solle zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt werden.

Unfassbares hatte sich in der Nacht zum 2. November in dem Einfamilienhaus in Köngen zugetragen: Die 41 Jahre alte Angeklagte verabreichte ihren sieben und zehn Jahre alten Töchtern am Abend zuvor Schlaftabletten und tötete sie vermutlich in den frühen Morgenstunden mit insgesamt 51 Messerstichen in den Rücken und in die Brust. Danach zog sie den Kindern frische Kleidung an, legte sie auf ein Schlafsofa und deckte sie bis zum Hals zu.

Vater ahnte nichts von der bevorstehenden Gewalttat

Anschließend legte sich die Hausfrau zwischen die Leichname und versuchte, sich das Leben zu nehmen. Doch der Schnitt in die Armbeuge war nicht tief genug. Die Frau setzte schließlich nachmittags einen Notruf ab – nur wenige Minuten nachdem sie den Anrufbeantworter abgehört hatte, in dem der Vater auf der Heimfahrt mit dem Auto von einer Reise bei einem Anruf ankündigte, dass er gleich daheim sein werde. Der 52 Jahre alte Mann hatte wie auch das Umfeld des Paares keine Anzeichen wahrgenommen, dass seine Frau zu solch einer Tat fähig sein könnte.

Im Prozess hatte der psychiatrische Sachverständige Peter Winckler vor den Plädoyers sein Gutachten vorgestellt. Der Sachverständige kam zu keinem eindeutigen Schluss. Prinzipiell sei nicht auszuschließen, dass die Frau vermindert schuldfähig sei. Zwar deute nichts darauf hin, dass sie Wahnvorstellungen oder Halluzinationen habe. Winckler diagnostizierte bei der Frau aber eine schiziod-paranoide Persönlichkeitsstörung, deren Ursachen vermutlich in ihrer Kindheit lägen.

Persönlichkeitsstörung durch Kindheitserlebnis ausgelöst

Bis zum 13. Lebensjahr lebte sie im Ausland. Die Eltern waren Gastarbeiter und überließen den Großeltern das Aufziehen. Nach dem Tod der Großmutter wurde die Angeklagte und ihr Bruder in der Verwandtschaft quasi herumgereicht. Die Eltern sah die Frau nur ein paar Wochen lang im Sommer bei Besuchen in Serbien. Dem Gutachter sagte die 41-Jährige, dass sie als kleines Mädchen das Gefühl gehabt habe, dass etwas nicht mit ihr stimme, weil die Eltern sie nicht mit nach Deutschland nahmen. „Die Angeklagte hat kein Urvertrauen entwickeln können“, so der Gutachter. Die Frau sei emotional sehr distanziert, könne kaum Gefühle zeigen, weise Mitmenschen zurück, sei sehr misstrauisch, neige dazu, freundlich gemeintes Verhalten der Mitmenschen als Bedrohung zu betrachten und wittere Verschwörungen. Das sei ein Grund mit dafür, dass das seit dem Jahr 2004 verheiratete Paar kaum soziale Kontakte pflegte.

Der Gutachter kam zum Schluss, dass es sich bei den Tötungen der Kinder um eine Verzweiflungstat oder um einen Racheakt handelte. Denn Aussagen und Handlungen des Ehemanns habe die Frau als Trennungsankündigung wahrgenommen. So klagte der Mann über Stress, wollte ein Zimmer mieten, um sich dort ab und an auszuruhen und erwog den Verkauf des Hauses. Er könne so nicht weiterleben. Zuvor soll der Mann der Frau sogar im Streit gesagt haben, dass er die Kinder im Fall einer Scheidung behalten werde. Später verheimlichte er eine Geliebte.

Verteidiger: Trennung war existenzielle Bedrohung

Der Verteidiger hob hervor, dass sich das Leben seiner Mandantin ausschließlich um die Mädchen gedreht habe: „Für meine Mandantin war eine Trennung eine existenzielle Bedrohung.“. Darauf deute auch, dass die Frau am Tattag einer Ärztin sagte, sie könne ohne ihre Kinder nicht leben.

Der Staatsanwalt wirft der 41-Jährigen hingegen vor, die Morde nicht nur wegen der Trennungsangst, sondern auch aus Rache an ihrem Mann und aus Besitzdenken begangen zu haben. „In ihrem Schneckenhaus gärte der Gedanke, wenn sie nicht die Kinder haben kann, dann soll sie keiner haben. Und Schuld daran hatte nach Ansicht der Frau der Mann“, so Schek.

Im letzten Wort bat die Angeklagte um Vergebung. „Jeden Tag gehen mir 1000 Fragen durch den Kopf, warum ich das getan habe. Die Kinder waren mein Ein und Alles. Ich hatte Angst, sie zu verlieren.“ Urteilsverkündung ist am Montag, 15 Juni.