Der Regisseur Marcus Vetter zeigt im Königin-Charlotte-Gymnasium seinen Film „Cinema Jenin“.

Stuttgart-Möhringen - Alle haben mich gewarnt, in diese Stadt zu gehen. Jenin galt als Hochburg des palästinensischen Widerstands, 30 Prozent der Selbstmordattentäter kommen aus dieser Stadt. Als ich dann dort war, habe ich aber keine Terroristen getroffen, nur Menschen.“ Es sind solche Sätze, mit denen Marcus Vetter seine Zuhörer fesselt. Der Tübinger Dokumentarfilmer besuchte am Freitag das Königin-Charlotte-Gymnasium in Möhringen. Den etwa 30 Eltern, Lehrern und Schülern zeigte er seinen Film „Cinema Jenin“ und diskutierte anschließend mit ihnen.

 

Die Filmvorführung ist Teil eines Seminarfachkurses der elften Klasse, der sich mit Israel und Palästina befasst. Seinen Vorgängerfilm „Das Herz von Jenin“, der für Vetter den Ausschlag für das Kinoprojekt gab, haben die zwölf Schüler schon gesehen. „Wir versuchen, den Konflikt darzustellen und beide Seiten zu zeigen. Die Schüler sollen sich dann ein eigenes Bild machen. So sollen sie auch lernen, Äußerungen von Beteiligten eines Konflikts zu beurteilen und dabei auch das jeweils verfolgte Interesse zu berücksichtigen.“, sagt Deutsch- und Biologielehrerin Julia Wachter, die mit ihren Kollegen Thomas Böttcher und Reinhold Schmid den Kurs leitet. Auch die Praxis kommt nicht zu kurz. So interviewten die Schüler einen Palästinenser aus einem Flüchtlingslager oder trafen einen Israeli, der in Stuttgart israelischen Tanz lehrt. Im Mai wird die Gruppe nach Israel reisen.

Als Ich-Erzähler führt Vetter durch den Film

Der Film von Marcus Vetter erzählt von dem sozialen Projekt „Cinema Jenin“. Ein deutsch-palästinensisches Team unter der Leitung von Vetter und den beiden Palästinensern Fakhri Hamad und Ismael Kathib will das ehemalige Kino der Stadt wiedereröffnen. 1987 war es im Zuge der ersten Intifada geschlossen worden. Bilder mit einer Ästhetik wie in einem Spielfilm zeigen den desolaten Zustand des Lichtspielhauses zu Beginn des Projekts im November 2008. Im Dach sind Löcher, Tauben flattern durch den Saal. Die hölzernen Kinosessel sind mit Vogelkot verkrustet.

Als Ich-Erzähler führt Vetter durch den Film. Auf der einen Seite zeigt er die Renovierungsarbeiten als Begegnung freiwilliger Helfer aus der ganzen Welt. Auf der anderen Seite die bürokratische Odyssee, die Vetter und Hamad durchstehen müssen auf der Suche nach Fördergeldern und Unterstützern. Die Freude, wenn Besuch kommt wie der Ministerpräsident von Brandenburg, Matthias Platzeck, oder Pink-Floyd-Sänger Roger Waters. Die Niedergeschlagenheit, als Israels Luftwaffe den Gaza-Streifen bombardiert oder als Projektpartner und Aktivist Juliano Mer-Khamis erschossen wird.

„Der Film ist keine Helden-Story“

Die Widerstände scheinen unüberwindlich. Immer wieder blitzt Streit auf ob der politischen Ausrichtung des Kinos: Widerstand gegen die herrschenden Verhältnisse oder deren Normalisierung? Oder einfach nur ein soziales Projekt, das Israelis und Palästinenser zusammenbringen soll? Das Kino wird zwar rechtzeitig zum Eröffnungstermin fertig, es bleibt aber unklar, ob es in seiner friedensstiftenden Absicht von den Palästinensern, vor allem von den Widerstandskämpfern, akzeptiert wird.

„Der Film ist keine Helden-Story“, sagt Marcus Vetter im Anschluss. Trotz der geringen Aussicht auf Erfolg, trotz all der Widerstände und Rückschläge brauche es das Engagement. „Gerade deswegen eigentlich. Da braucht man Leute mit langem Atem.“ Das mit finanziellen Problemen kämpfende Kino brauche noch ein paar Jahre, und es sei immer möglich, dass es scheitere. Derzeit trauten sich nicht viele Jeniner Bürger ins Kino, da sie Angst haben, als „Normalisierer“ gebrandmarkt zu werden. „Wichtig ist aber, dass das Kino eine Diskussion entfacht hat.“ Bei der Vorbereitung habe er sich beispielsweise bewusst für eine israelische Koproduzentin entschieden. „Es geht vor allem darum, Vorurteile abzubauen, denn Vorurteile sind der Nährboden für die Gewaltspirale im Nahen Osten.“