Nach 65 Jahren schließt das Modehaus Fischer. Die Zukunft der Innenstädte und speziell ihrer Branche sieht Christine Fischer düster. Schuld seien unter anderem ein verändertes Kaufverhalten und ein gnadenloser Verteilungskampf.

Stuttgart - Sommerdaunenjacken – die musst du jetzt haben“, sagt Christine Fischer. Gerade hat sie eine Lieferung zu Sonderkonditionen ergattert, ihre Spürnase sei so gut wie ihre Kondition. Die 71-Jährige steht morgens um sechs auf, geht joggen, holt beim Metzger das Mittagessen für ihre Mitarbeiterinnen und ist um halb neun im Geschäft. „Abends spür ich meine Füße nicht mehr. Ich bin platt.“ Ihr Beruf, den sie immer geliebt hat, wird ihr allmählich zu viel. Auch deshalb hört sie zum Ende des Monats auf. Damit ist das Modehaus Fischer, das ihr Mann Siegfried mit seinem Bruder Alfons nach dem Krieg gebaut hat, nach 65 Jahren Geschichte.

 

Die Eigentumsverhältnisse sind verzwickt, auch das ist ein Grund für Christine Fischers Rückzug. 1949 eröffnete das Spezialhaus für Damenbekleidung. Die Front des heute denkmalgeschützten Hauses zur Königstraße teilte man sich mit dem Eigentümer dieses Gebäudeteils und damit dem Vermieter, der Familie Autenrieth. Der rückwärtige Teil gehörte Fischers in Erbpacht. Nachdem Christine Fischers Mann 1990 und ihr Schwager 2004 gestorben waren, kaufte sie die Anteile ihrer Schwägerin. Den unteren Laden an der Stiftstraße vermietete sie an Aigner, den mittleren machte sie Ende 2012 frei für den US-Filialisten Hollister. Damit gab es keinen Fluchtweg mehr für ihre zweite und dritte Etage im Vorderhaus. Sie musste sich, wie sie sagt, von 1800 auf 200 Quadratmeter Verkaufsfläche im Erdgeschoss verkleinern.

Gnadenloser Verteilungskampf

Ein Abschied auf Raten? Sie plane seit vier Jahren aufzuhören, sagt Christine Fischer. Ihr Pachtvertrag läuft am 1. Juli aus, und aufgrund der neuen baulichen Situation stünden Investitionen für den Brandschutz in Millionenhöhe an – „das kann ich nicht erwirtschaften“. Damit kommt der dritte Grund ins Spiel. In der Modebranche herrscht vor allem im Luxussegment ein gnadenloser Verteilungskampf. Viele Nobelmarken wollen in jeder Großstadt nur einmal vertreten sein und suchen sich dafür das aus ihrer Sicht erste Haus am Platz aus. Das war lange Jahre „die Fischerin“, wie sie unter Kollegen genannt wird. Sie sei „wie ein Schnüffeltier“ in den Großstädten unterwegs gewesen, ergänzt sie.

Christine Fischer hat Gucci, Prada und Dolce & Gabbana in Italien entdeckt und als erste in Deutschland auf dem Markt eingeführt. Im Krisenjahr 2008 verlor sie Gucci und Dolce & Gabbana an Breuninger. „Von heute auf morgen – und ich hab die 20 Jahre lang aufgebaut.“ Prada blieb ihr treu, aber das neue Outlet in Metzingen spürt sie. Die asiatische Kundschaft komme erst gar nicht mehr nach Stuttgart. Die jüngeren Frauen ebensowenig: „Die berufstätigen Mütter setzen sich abends an den Computer und bestellen im Internet. Die haben doch gar keine Zeit mehr in die Stadt zu gehen.“

Deutlich gesunkene Margen

Hinzu kommt, das die Reduzierungsphasen im Luxussegment immer früher beginnen und länger dauern. Die Schnäppchenjagd habe sich eingebürgert, meint Christine Fischer. „Die Leute gucken heute ganz anders auf den Preis als früher.“ Die Margen im Handel seien deutlich niedriger als in den 80er oder 90er Jahren. „Wenn dann reduziert wird, erwirtschaftest du nur noch den Deckungsbeitrag.“

„Wahnsinn. Ich hör auf und niemand ist mehr da.“

Die Zukunft der Innenstädte sieht in ihren Augen düster aus. Ob München, Berlin, Mailand oder Paris: überall die gleichen Läden und das gleiche Sortiment. In Stuttgart verfolgt Christine Fischer, wie seit Jahren die mittelständischen Betriebe wie Sport Entress, Waldbaur oder Mössinger aufhören und durch die so genannten Monobrandstores ersetzt werden, in denen die Hersteller ausschließlich ihre eigenen Kollektionen verkaufen und so die doppelte Gewinnspanne haben – aus Einkaufs- wird Verkaufspreis.

Dies alles wog mehr als der fehlende Nachfolger. Der Sohn aus erster Ehe lebt in Berlin. Gerade hat Christine Fischer ihre Schwägerin zu Grabe getragen. Diese Ehe war kinderlos. „Wahnsinn. Ich hör auf und niemand ist mehr da.“ Wichtig war ihr, dass alle ihre rund 15 von einst 65 Mitarbeiterinnen untergebracht seien. Mit dem Betriebsrat sei ein Sozialplan erstellt worden. „Ich gehe mit einem sauberen Gefühl raus.“