Unser Autor weiß: Die Welt ist voll mit Aufgaben, Herausforderungen und Dinosauriern aus Lego, die wahnsinnig schwer zusammenzubauen sind. Da vergisst man leicht das Wichtigste.

Es ist einigermaßen faszinierend, mit welch argumentativer Spannkraft der Fünfjährige meine, äh, Vorschläge mit „Keine Zeit!“ kontert. Langsam mal ins Bett zu gehen, aufzuräumen oder irgendetwas vom Boden aufzuheben, das ihm eben heruntergefallen ist. „Keine Zeit!“, sagt er und macht dann weiter in seinem Programm, das offenkundig keine Zeit für anderes zulässt.

 

Hin und wieder schlägt er auch vor, ich könnte ihn in dieser Hinsicht etwas entlasten und beispielsweise selbst aufräumen, während er keine Zeit dafür hat. Als Eltern ist es wichtig, nicht auf derartige rhetorische Tricks reinzufallen.

Es ist gelogen

Erziehungsratgeber empfehlen in solchen Fällen, den Prozess des Aufräumens als etwas Positives darzustellen und dem Kind vorzuleben, wie sehr es doch Spaß bereitet, gemeinsam aufzuräumen. Was streng genommen nicht nur eine infame Lüge ist, sondern unterm Strich das Gleiche bedeutet wie einfach selbst aufzuräumen – während das Kind sich mit den wichtigen Dingen beschäftigt oder allenfalls zuschaut, während ich aufräume und animativ dabei lächle.

Neulich hatte ich kurzzeitig auch keine Zeit, also ziemlich lange, wenn ich ehrlich bin. Das hatte mit einem Dinosaurier aus Lego zu tun. Beziehungsweise mit seinen Einzelteilen, die in der Kiste mit dem ganzen anderen Lego-Zeug verstreut waren. Kind: „Ja, lass uns einen Dinosaurier bauen!“ Ich: „Yeah!“ Und wie so oft im Leben erkennt man erst später die Konsequenzen.

Im ersten Schritt muss ich die benötigten Einzelteile aus der Kiste mit dem ganzen Legokram suchen – geschätzt ungefähr vier Millionen Stück, teils lachhaft klein. Den ersten Rüffel kassiere ich, weil das wahnsinnig laut ist, wenn man in (geschätzt 800 Millionen) Legosteinen nach anderen Legosteinen sucht. Klingklangklöter. Ruhe!

Den zweiten Rüffel holte ich mir ab, weil ich nach sechs Minuten noch immer nicht damit fertig bin. „Laaaaangweilig!“, sagt der Sohn im Vorbeigehen und spielt dann zur Überbrückung mit irgendetwas anderem. Ich: „Möchtest du mir vielleicht helfen?“ Er: „Ja!“ Und dann spielt er einfach weiter, weil er halt keine Zeit für solch langweiligen Quatsch wie Teilesuchen hat.

Keine Zeit für Langeweile

Ich bin kein Wissenschaftler, aber ich vermute, rund 94 Prozent aller Lego-Figuren werden von vollkommen überforderten Eltern zusammengebaut, während das Kind alle fünf Minuten fragt, ob sie schon fertig sind und ob der Flugsaurier später auch Feuer spucken kann, weil das sonst nämlich langweilig wäre. Keine Zeit für Langeweile.

Apropos, keine Zeit. Man glaubt es kaum, aber bitte denken Sie dran: in rund 367 Tagen ist wieder Weihnachten. Wahnsinn, eigentlich, wie schnell das heutzutage alles geht. Einfach mal ein Jahr lang immer ein bisschen zu müde gewesen, viel gelacht, viel zu viele Sorgen gemacht und manchmal trotzdem keine Zeit gehabt. Ohne jetzt zu kitschig werden zu wollen: Liebe Eltern, Onkel, Tanten, Omas, Opas, Sie haben das super gemacht. Ich hoffe, das Jahr war gut zu Ihnen, zu Ihren Kindern und den anderen Menschen, die Ihnen am Herzen liegen. Ich wünsche uns allen, dass wir, äh, alle ganz viel Lego zu Weihnachten bekommen. Denn das beste Lied der Welt ist ein lachendes Kind.

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Michael Setzer ist seit fünf Jahren Vater. Früher haben Eltern ihre Kinder vor Leuten wie ihm gewarnt. Niemand hat ihn vor Kindern gewarnt.