Manche Theorien der modernen Physik passen nicht so recht zu unseren Alltagserfahrungen. Für Trickfilmhelden wie Karl den Coyoten oder den Roadrunner sind sie dagegen ein alter Hut.

Wissen/Gesundheit: Werner Ludwig (lud)

Trickfilmhelden wie Bugs Bunny, Goofy oder Speedy Gonzales haben viele Babyboomer geprägt. Wahrscheinlich waren sie sogar maßgeblich an der Herausbildung der Moral- und Wertvorstellungen dieser Altersgruppe beteiligt. Nach heutigen Maßstäben stünden aber viele der lustigen Filmchen von damals auf dem Index. Sie befördern Geschlechterstereotype und propagieren Gewalt als Lösung. Zudem pflegen ihre Protagonisten oft einen rüden Umgang mit benachteiligten Personen. Andererseits könnten die alten Animationsfilme gegenüber dem, was Kinder und Jugendliche heute bei Youtube & Co. sehen, fast schon wieder als pädagogisch wertvoll eingestuft werden.

 

Die Helden aus der Trickfilmwelt nehmen es auch mit den Gesetzen der Physik nicht allzu genau. Das zeigt sich zum Beispiel, wenn der rasend schnelle Laufvogel Road Runner seinen Kontrahenten Wile E. Coyote über eine Felsklippe jagt. Als der hierzulande auch als Karl der Coyote bekannte Vierbeiner plötzlich keinen Boden mehr unter den Füßen hat, schwebt er zunächst scheinbar schwerelos über dem Abgrund. Der Sturz in die Tiefe beginnt erst, nachdem er seine Lage erkannt hat. Nach den Regeln der klassischen Mechanik ist das natürlich unmöglich. Betrachtet man die Szene jedoch vor dem Hintergrund der Erkenntnisse der Quantenphysik, erscheint sie plötzlich gar nicht mehr so abwegig. Deren Regeln zufolge wird die Welt bekanntlich schon dadurch beeinflusst, dass wir sie beobachten: Erst als Karl dem Coyoten die Schwerkraft bewusst wird, beginnt diese tatsächlich auf ihn zu wirken.

Trickfilme haben ihre eigene Physik

Die Begründer der Quantentheorie hatten bei ihren Überlegungen allerdings keine Zeichentrickfilme im Sinn, sondern das Verhalten subatomarer Teilchen, die gleichzeitig als Wellen beschrieben werden können. Aber solche geringfügigen Abweichungen sollten den Blick auf das große Ganze nicht stören. Fakt ist, dass sich schon einige Leute Gedanken über die Physik in Trickfilmen gemacht haben. Bereits 1980 erschien dazu ein Artikel des US-Autors Mark O’Donnell, der später auch in einer Elektronik-Fachzeitschrift publiziert wurde.

Neben der Ignoranz mancher Protagonisten gegenüber der Schwerkraft widmet sich der Autor einer ganzen Reihe weiterer physikalischer Gesetze aus dem Comic-Paralleluniversum. Demnach hinterlässt zum Beispiel ein Körper, der mit hoher Geschwindigkeit Feststoffe durchdringt – etwa einen Felsen, der im Weg steht –, ein Loch, das exakt seiner Silhouette entspricht. Eine weitere Erkenntnis O’Donnels: Ein Fahrzeug ist so lange in einem Zustand der Unbestimmtheit, bis ein Objekt seinen Weg kreuzt. Will heißen: Erst in dem Moment, in dem eine Trickfilmfigur die Straße betritt, taucht urplötzlich ein Lastwagen auf, der sie überrollt – auch wenn das Opfer vorher sorgfältig nach rechts und links geschaut hat, ob die Straße frei ist. Das erinnert an die Katze aus dem viel zitierten Gedankenexperiment des österreichischen Quantenphysikers Erwin Schrödinger. Dieses bemitleidenswerte Tier befindet sich in einer imaginären Kiste, in der mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ein tödliches Gift freigesetzt wird. Ob das Tier lebt oder nicht, ist aber erst in dem Moment klar, in dem ein Beobachter die Kiste öffnet. Bis dahin bleibt sein Zustand unbestimmt.

Trickfilmhelden als Anschauungsobjekte

Auch eine aktuelle Publikation von zwei Mathematikern der University of North Carolina befasst sich mit der Physik der Bewegungen von Wile E. Coyote und des Road Runners. Demnach ähneln die beiden Trickfilmfiguren einem „vertikal aufgehängten Masse-Feder-System, das sich mithilfe der asymptotischen Fernfeldentwicklung der Laplace-Transformation der unteren Masse quantifizieren lässt“. Noch Fragen?

Die Autoren demonstrieren mit ihrer Arbeit, dass sie nicht nur etwas von Mathematik verstehen, sondern auch von zeitgemäßer Wissenschaftskommunikation: Wer heutzutage schwer verdauliche Forschungsergebnisse gut verkaufen will, sollte zu lustigen Vergleichen und Analogien greifen. Angeblich fallen darauf auch Zeitungsredakteure herein. Erwischt!