Erst ist jedes verständliche Wort des kleinen Menschen eine Freude, doch dann wünscht man sich das Gebrabbel zurück. Irgendwann wird es nämlich richtig peinlich, hat unsere Kolumnistin Simone Höhn beobachtet.

Stuttgart - Die ersten Monate mit Baby sind Zeiten der Verständnislosigkeit. Hunger, müde, Bauchweh, Durst – „trial and error“ ist die einzige Methode, um dem schreienden Menschlein irgendwie beizukommen. „Ach, wenn es uns doch bloß schon sagen könnte, wo der Schuh drückt“, seufzen die jungen Eltern. Sie wissen nicht zu schätzen, in welch komfortabler Situation sie sich tatsächlich befinden, da sie nicht einmal ahnen, welche sprachlichen Katastrophen noch auf sie warten.

 

Wehmütig werden sie sich dereinst an die Zeiten zurückerinnern als „Rullerullerätärät“, „Kraddekraddekradde“ oder „Gorgigorgigorg“ die einzigen verbalen Versatzstücke waren. Ganz zu schweigen vom großen Interpretationsspielraum, den dieses Babygeplauder zuließ. Was das Kleinkind damit sagen wollte, lag voll und ganz im Ermessen von Mama und Papa. Mei, was war das schön, Eltern zu sein!

Mama, warum ist die Frau so dick?

Amüsiert man sich – im Kleinkindzeitalter angelangt – zunächst noch gerührt über die ersten sozialen Anwandlungen des Sprosses mit der Lyonerscheibe in der Hand an der Wursttheke „Mama auch Hunger!“, wird es ein paar Entwicklungsschübe später schon brenzlig. Eben noch dem lauten Hasenhähä beim Rasenmähen zugeschaut, die Datze gestreichelt und die bunten Lungerlons am Himmel fotofafiert, möchte man ein paar Zwei- und Drei-Wortsatzbildungen später an der Supermarktkasse in den Linoleumboden versinken. Dabei hat der Nachkomme doch bloß wissen wollen, warum die Frau so dick ist. Erwachsenensachen wie Diplomatie, Höflichkeit oder Zurückhaltung stehen auf der Entwicklungsliste leider erst ganz am Ende (wenn man Glück hat).

Ebenso wie die treffende Bedeutung des Zauberworts erst mit fortschreitendem Alter verinnerlicht wird. Kommt ein Junge zum Metzger: „Ich will die große Wurst da drüben!“ Sagt die Mutter: „Und wie heißt das Zauberwort?“ Na klar: „Hokuspokusfidibus.“ Okay, harmloser Kindergeburtstag.

Wie wäre es hiermit: Eine Frau mit Kopftuch wartet an der Haltestelle. „Papa, schau, die Hexe fährt auch mit dem Bus.“ Oder hiermit: Eine Seniorengruppe läuft vorbei. „Gell, Mama, wenn man alt ist, stirbt man bald!“ Oder auch: Ein Mann wird im Rollstuhl vorbeigeschoben. Fragt das Kind: „Warum sitzt der Mann im Kinderwagen?“ Arrggh!

Lauter Flüsterton

Ja, da keimt er schnell in uns auf, der Fluchtreflex, der Wunsch nach einem Tarnanzug, das unbändige Verlangen einfach herauszubrüllen: „Nein, dieses Kind gehört nicht zu mir!“ Kindermund tut nicht nur Wahrheit kund, es purzeln unkontrollierte Peinlichkeiten aus ihm heraus.

Am besten entwickelt man eine innere Haltung, die auch dann das Qi nicht aus dem Gleichgewicht bringt, wenn das Kind im lauten Flüsterton fragt, nachdem ein mutmaßlich Obdachloser die Bäckerei betreten hat: „Mama, wie sehen eigentlich Diebe aus?“ Und die einen auch dann davor bewahrt, Reißaus zu nehmen, wenn sich Folgendes zuträgt: „Hast du eigentlich auch Brüste, Tante Marlene?“ „Ja, hab ich.“ „Bringst du die morgen mal mit?“