Beim Skiurlaub läuft die Adrenalinproduktion von Groß und Klein auf Hochtouren. Aber je aufregender das alles ist, desto schöner ist die Erholung, hat StZ-Kolumnistin Ulla Hanselmann beobachtet.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - Ein Skiurlaub gehört zu den letzten Abenteuern, die einer Familie vergönnt sind im ansonsten von Schule, Beruf, Vereinssport und Wochenendroutinen durchregulierten Alltagseinerlei. Derjenige, der für eine Kleinfamilie die Koffer packt, vollbringt schon vor dem eigentlichen Urlaubsbeginn einen Grenzgang, so tollkühn, dass Reinhold Messner vor Neid erblassen muss. Wer es schafft, den Berg aus Skiern, Skistiefeln, Stöcken, Skijacken, Thermohosen, Fleecepullovern, Funktions-T-Shirts, Softshell-Hemden, Skihelmen, Skibrillen, Skistrümpfen und sonstigen für diese Sportart unverzichtbaren Utensilien in einem Mittelklassefahrzeug so unterzubringen, dass auch noch drei Fresskisten für die Selbstversorgung in der Ferienwohnung sowie die Insassen Platz haben, hat schon die größte Herausforderung gemeistert – lange, bevor er auch nur einen Schwung auf einer schwarzen Piste getan hat.

 

Die Fahrt ins Skigebiet, zwangsweise zu Beginn der Skiferien in halb Europa, kurbelt die Adrenalinproduktion dann weiter heftig an. Wer zig Kilometer lang auf der Autobahn entweder nur noch Bremslicht-Rot sieht oder erlebt, wie sich der Highway wegen dichtestem Schneefall innerhalb von Minuten in eine Rutschbahn verwandelt, während der Nachwuchs auf der Rückbank zwischen Quengel- und Panikattacken hin- und hergerissen ist, dem sind Schweißausbrüche und Herzrasen garantiert.

Langeweile? Gibt’s hier nicht!

Beim Skifahren dann lässt der Eigensinn der Sprösslinge keine Langeweile aufkommen. Skilust und Skifrust wechseln sich munter ab. Mal will man morgens nicht aus den Federn, mal wird der teuer bezahlte Skiunterricht boykottiert. In die Zeit zwischen Frühstück und Kursbeginn passt der Satz „Ich gehe nicht in den Skikurs!“ etwa 15 237-mal hinein. Dann wiederum können die Pisten nicht steil, die Aktionen nicht halsbrecherisch genug sein. Vor allem männliche Skisteppkes scheinen zudem ein diebisches Vergnügen daran zu haben, die präparierten Pisten zu verlassen und auf ihren Brettln durch die baumbestandene Pampa zu heizen. Von der Nachricht, dass just im Skigebiet zwei Elfjährige von einer Lawine verschüttet worden sind und einer von ihnen dies mit seinem Leben bezahlt hat, zeigen sich die Kamikaze-Fahrer unbeeindruckt. Immer wieder müssen die Eltern Suchtrupps bilden, um nach den Verschollenen zu fahnden.

Sind die Aufregungen des Tages überstanden, schlaffen die Muskeln zwar wohlig ab, aber im Hirn herrscht immer noch Hochbetrieb aufgrund aufwühlender Gewissensbisse: Ist es überhaupt richtig, die nächste Generation mit dem Skivirus zu infizieren? Setzt man damit den Ausverkauf der Alpen nicht auf verantwortungslose Weise fort? Ist das alles nicht viel zu gefährlich? Was, wenn die Jungs erst mal älter sind und (immer noch) nicht auf die klugen Ratschläge und Ermahnungen der Eltern hören . . . 

Und doch geschieht das Wunder: Aus einem Familienskiurlaub kehrt man vollkommen tiefenentspannt und erholt zurück. Denn all die Abenteuer und Aufregungen lassen einen das Alltagseinerlei komplett vergessen.