Spiele sind toll. Uno, Monopoly und Co. Wären da nur nicht die blöden Niederlagen. Unser Kolumnist Martin Gerstner hat manchmal daran schwer zu knabbern. Mensch, ärgere dich nicht!

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Martin Gerstner (ges)

Stuttgart - Zum Beispiel die Ferienwohnung im Skiurlaub: da sitzt die Familie abends zusammen, der Fernseher (falls vorhanden) ist aus pädagogischen Gründen schwarz. Draußen ist es auch schwarz, der Platz ist beschränkt, es riecht nach verschwitzen Skianoraks. Und dann muss man auch noch Spaghetti in einer Kochnische zubereiten, die so eng ist, dass schon der ausgestreckte Kochlöffel Krater an der Wand hinterlässt. Kurz: es droht eine Stimmung, als würde bei einem Piratenparteitag der Strom ausfallen. Um den Lagerkoller zu vermeiden, wird deshalb gespielt. Mit Karten, Würfeln oder auf labyrinthischen Spielbrettern. Spielen ist toll. Man lernt etwas über die Welt, verbessert sein Allgemeinwissen, muss Strategien entwickeln, mit den Ressourcen haushalten – und entwickelt sich binnen einer halben Stunde in einen habgierigen, zynischen, von humanistischen Reflexionen unbeeindruckten Drecksack.

 

Diese Bewusstseinserweiterung gilt nicht für Erwachsene, sondern auch für Kinder, die in das Ravensburger Haifischbecken geworfen werden. Sie wollen gewinnen. Um jeden Preis. Die Eltern werden zu Konkurrenten und sind selbst in der Zwickmühle (auch so ein fieses Brettspiel). Zunächst geben sie sich souverän, blinzeln verschwörerisch, wenn dem Nachwuchs ein paar Extrapunkte zugeschustert werden, legen absichtlich die falschen Karten, lassen die eine oder andere Gewinnchance aus. Jedoch gibt es einen Moment in der heißen Phase des Spiels, von dem an das Raubtier die Oberhand über den zivilisierten Menschen gewinnt. Vielleicht erinnern sich die Eltern in diesem Moment daran, dass sich ihr Nachwuchs übers Wetter beschwert hat, über die unbequemen Betten und den Geschmack der Tomatensoße. Oder sie sind einfach getrieben von einer unerwarteten Erfolgssträhne. Lassen sich von Fortuna umarmen und denken zur Abwechslung einmal nur an sich. Und dann krachen die Karten auf den Tisch, werden Hotelmieten eingefordert, Asse ausgespielt, Joker gehamstert, Spielfiguren aufs Startfeld zurückgekickt. Die Lippen sind schmal, die Fingerknöchel weiß. Am Ende haben Verlierer Tränen in den Augen, müssen mit Süßigkeiten wieder hergestellt werden oder ziehen sich mit einer Flasche Rotwein ins Schlafzimmer zurück.

Zugegeben: wir haben die Situation jetzt aus dramaturgischen Gründen etwas aufgepeppt. Aber die Frage stellt sich doch: Soll man Kinder gewinnen lassen oder sie früh mit den Gesetzmäßigkeiten des Kampfes aller gegen alle vertraut machen? Wer sich beispielsweise auf dem Bolzplatz mit Kindern und Jugendlichen trifft, die von sportlichem Ehrgeiz beseelt sind, muss alle koordinativen Fähigkeiten aufwenden, um eine glaubwürdige Balance zwischen Ernsthaftigkeit und dem Verzicht auf die allerletzte Blutgrätsche einzuhalten. Der bittere Kelch der Niederlage wird den Kindern dabei nicht erspart – nur so wird die Faszination des Spiels gewahrt. Nur: die Kleinen können sich gehen lassen. Den Eltern wird Haltung im Angesicht zerstobener Siegchancen verlangt. Das ist höllisch anstrengend.