Unglaublich, aber wahr: England war einmal das Zentrum des europäischen Stierkampfes. Aber die Zeiten von John Bull sind lange vorbei.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

München - Analog zum deutschen Michel personifiziert die Figur des John Bull das Vereinigte Königreich: er ist ein massiger Mann mit einem Zylinder auf dem Kopf, angetan mit Frack, Kniebundhosen und einer Weste in Nationalfarben, die sich über einem gewaltigen Bauch spannt. In den siebziger Jahren hießen deutsche Steakhäuser gerne nach John Bull, auf Anhieb findet man nicht mehr so viele im Netz. Man könnte nach Pinneberg oder nach Mönchengladbach fahren, wenn man um Steakhäuser nicht generell einen Bogen machen würde. John Bull jedenfalls hat im Gegensatz zum deutschen Michel, dem unbestreitbar etwas latent Schlafmütziges anhaftet, Angriffslust im Wesen, oder zumindest, defensiv betrachtet, Wehrhaftigkeit. Der Schöpfer seiner Urform, der schottische Satiriker, John Arbuthnot, sah John Bull 1712 als Bulldogge. Oder als Stier.

 

Erstaunlicherweise England – und nicht Spanien – ist das eigentliche Heimatland des Stierkampfes, der auf der Insel zu den sehr beliebten „blood sports“ gerechnet wurde. Man ließ da aufeinander los, was einen einigermaßen Furcht erregenden Eindruck machte. Im weitesten Sinne galt bereits als Sport, wenn Affen, Wildschweine, Löwen, Bären, Dachse oder speziell gezüchtete Mastiffs den Sieger auskämpfen mussten.

Gewaltneigung und Genuss

Wolfgang Behringer verweist in seiner Kulturgeschichte auf eine besondere Art der Identifikation: sie funktionierte allein über den Wetteinsatz – und weiters dachte sich kein Mensch was dabei, wenn die Tiere gegeneinander aufgehetzt wurden. Dass etwas „a Hetz“ sei, hat sich in österreichischen und bayrischen Dialekten erhalten. Es schwingen gleichzeitig Gewaltneigung wie auch Genuss und sowohl eine Portion Sadismus und Masochismus mit: keine schöne Phrase.

Interessanterweise gab es unter den Renaissance-Päpsten erhebliche Meinungsverschiedenheiten, ob der Stierkampf als Sportvariante nicht doch das Seelenheil des Menschen gefährde. Der Reformpapst Pius V., ein Dominikaner, Schafhirt und Sohn armer Leute, der unter dem Ornat stets das karge Mönchsgewand trug, verbot ihn; Gregor XIII., Jura-Professor und aus reichem Hause, führte die Praxis wieder ein. Aber was scherte das die Engländer?

Sogar nachdem Queen Victoria die Schirmherrschaft über den Tierschutzverein angetreten hatte, blieb das Königreich förmlich ein Eldorado für Leute, die beispielsweise gerne auf lebende Tauben schossen, immerhin bis 1921. Bis heute gibt es die Fuchsjagd, wiewohl sie schwer umstritten ist. Und natürlich Pferde- und Hunderennen. Man könnte drauf wetten, wenn man denn wettete, dass die Königsfamilie hier versammelt Schlange stünde, wäre so was olympisch. Der Blood Sport Stierkampf im Übrigen, der in spanischen Zeitungen nicht nur als Sport, sondern immer auch seitenlang als Kunst gewürdigt wird, hat es in seinem zweiten Mutterland nicht mehr ganz so einfach: Nach den Kanaren schloss zuletzt auch Katalonien die Arenen. Der Rest des Landes indes hält Stand.