Wurschträdle, Gummibärle, Malbücher, Kaubonbons - Kinder bekommen mittlerweile in fast jedem Laden etwas geschenkt, stellt unsere Autorin Lisa Welzhofer fest – und fühlt sich von Stuttgarts nettem Verkaufspersonal in die Enge getrieben.

Familie/Bildung/Soziales: Lisa Welzhofer (wel)

Stuttgart - Wenn ich als Kind mit meiner Mutter in unserer Heimatkleinstadt auf Einkaufstour gehen musste, gab es ein klares Highlight: Der Besuch der Metzgerei. Dort reichte mir die freundliche Fleischereifachverkäuferin jedes Mal ein hauchdünnes Gelbwurschträdle über die Theke. Gelbwurscht, das war etwas Wunderbares, fast schon Exotisches für mich, das es in unserem reformhaus-friedensbewegten-80er-Jahre-Haushalt leider so gut wie nie gab.

 

Wenn ich heute mit dem Sohn (3) im Stuttgarter Osten einkaufen gehe, ist das Gelbwurschträdle, das bei den meisten Metzgern mittlerweile daumendick oder gleich als ganzes Mini-Saitenwürschtle daherkommt, längst kein Highlight mehr. Meist hat das Kind dann schon ein Tütchen Gummibären (aus der Selbstbedienungs-Kinder-Schublade beim Bäcker), Traubenzucker (Apotheke), Lutscher (Schuhladen), Kaubonbons (Elektroladen) und eine Banane (Biosupermarkt) hinter sich. Im Grunde muss ich mittags gar nicht mehr kochen, wenn ich zuvor einkaufen war.

Nach jedem Pikser öffnet der Kinderarzt die Geschenkeschublade

Dazu kommen die Sachgeschenke: Im Fahrradladen gibt es ein Malbuch, im Supermarkt Aufkleber, aus der Apotheke bringen wir – neben dem Traubenzucker – auch noch einen Wasserball und ein Badetier mit nach Hause.

Und auch der Kinderarztbesuch zahlt sich heutzutage aus. Nach jedem A-Sagen oder Fingerpikser öffnet sich eine Schublade im Schreibtisch des Arztes mit Aufklebern, Gummitieren oder Stempeln, aus der das Kind sich was aussuchen kann. Beim Zahnarzt bekam es letztes Mal sogar ein ganzes Stiftemäppchen geschenkt. Die Plastik-Müllberge dieser Welt wären eindeutig kleiner, gäbe es all diese Kinder-Give-aways nicht.

Ein Geschäft zu betreten ist noch keine Leistung

Ich habe anfang arg gehadert mit dieser Geschenkeflut – nicht nur wegen des Entsorgungsproblems. Dabei ging es mir gar nicht so sehr darum, dass das Mittagessen des Sohnes nur aus Wurscht und Zucker bestehen könnte – so bio-reformhaus-bewegt bin ich dann auch wieder nicht. Mich störte vielmehr diese inflationäre Schenkerei. Dass es beim Arzt eine kleine Belohnung gibt, fand ich ja noch okay. Immerhin hatte der Sohn dafür ja auch etwas dafür getan, also zumindest seine Ängste überwunden, den Mund aufgemacht, die Spritze erduldet. Aber über die Schwelle eines Geschäfts zu treten, ist für mich per se noch keine Leistung – soviel Kapitalismuskritik muss sein.

Klar, Schenken ist nicht immer Belohnen. Man kann auch Schenken um des Schenkens willen, um dem anderen eine Freude zu bereiten. Aber Geschenke in der Dauerschleife entwerten doch gerade die Idee dahinter. Wer freut sich denn noch auf den Geburtstag, Ostern oder Weihnachten, wenn er ständig und überall was abstauben kann?

Geschenke ablehnen – oder nicht?

Was mich zudem ärgerte. Bevor die netten Frauen und Männer hinter den Ladentheken das Präsent rüberreichten, fragten sie mich, ob das Kind denn überhaupt schon Wurst/Bonbons/Traubenzucker haben dürfe und brachten mich damit in eine Position, in der ich es nur falsch machen konnte. Sagte ich Nein, verwehrte ich dem erwartungsvoll blickenden Sohn die augenblickliche Freude am Wurschträdle. Sagte ich ständig Ja, tat ich dem Kind langfristig keinen Gefallen, weil es vielleicht die Freude am Geschenkebekommen verlor. Ein klassisches Dilemma, für das ich keine befriedigende Lösung fand.

Vielleicht ist es also reiner Selbstschutz, dass ich das Thema mittlerweile ein wenig gelassener sehe. Aber ich bin mittlerweile auch überzeugt, dass der Sohn keine nennenswerten Langzeitschäden davon tragen wird. Warum? Weil er sich über jeder Kaubonbon wieder aufs Neue freut wie ein kleines Kind.

Die Autorin Lisa Welzhofer ist Mutter zweier Kinder und lebt in Stuttgart. In ihrer Kolumne macht sie sich regelmäßig Gedanken über Kinder, Kessel und mehr.