Vor dem Winter isst man meistens besonders viel. Unsere Kolumnistin versucht, ihren Appetit mit mentaler Gedankenmanipulation zu kontrollieren.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Ich habe ein ganz neues Phänomen entdeckt. Dass Stoffe sich verziehen und Kleidungsstücke dadurch kürzer und enger werden können, das ist gemeinhin bekannt. Es ist auch kein Geheimnis, dass die Textilindustrie aus Kostengründen Baumwollfäden beim Weben extra in die Länge zieht. Sobald man sein neues Shirt in die Waschmaschine gibt, saugen die Fäden sich mit Wasser voll, werden dick und fett, aber schnurren zugleich zusammen – und schon spannt’s am Ranzen.

 

Dass Kleidungsstücke aber allein vom Liegen im Schrank dermaßen eingehen können, das war mir neu.

„Bist halt aus dem Leim gegangen“, sagte eine Freundin und tätschelte mir belustigt den Bauch. Das sei völlig normal, dass man von Jahr zu Jahr und erst recht vor dem Winter zunehme. Ich könne mich jetzt wochenlang quälen und kasteien, mir und meinen Mitmenschen das Leben durch schlechte Laune vermiesen. Oder mir einfach eine neue Hose kaufen. „Damit der Kessel nicht mehr spannt.“

Aber ich will keine neue Hose kaufen. Ich möchte wieder in die alte Hose passen, und zwar einfach so. Ich bin nämlich nicht der Typ für Diäten. Hungern und Darben sind für mich definitiv keine Option.

Wenn der Hunger kommt, muss man sich ablenken

Da hilft nur eines, sagt die Freundin: Ablenkung. Gedankenkontrolle durch mentale Aufmerksamkeitsumlenkung. Sobald der Heißhunger kommt, müsse ich sofort konsequent an etwas Schönes, Spannendes und Fesselndes denken. Zum Beispiel an Politik. An einen Lottogewinn. Zur Not auch an Primzahlen.

Oder an Tiere: Bärentatzen. Katzenzungen. Zimtschnecken. Schweineöhrchen. Hot Dog mit Löwensenf. Mäusespeck. Und Bärendreck.

Nein, sagt die Freundin, dann solle ich mir lieber vorstellen, wohin der nächste Urlaub gehen könnte. Ich solle an schöne Städte und Länder denken, an neue Begegnungen, Kulturen, Menschen. Kein Problem: Berliner. Amerikaner. Frankfurter. Thüringer. Hamburger. Nürnberger.

Wahrscheinlich muss ich es doch mit Sport versuchen. Beim nächsten Nachmittagsloch werde ich Gehirnjogging machen. Sohn des Numiderkönigs Mastanabal: Gauda. Bewohner der Rhône-Alpes: Lyoner. Vierter Planet im Sonnensystem: Mars. Geländewagen: Pick-up. Meuterei auf der. . .: Bounty. Florentinischer Maler: Giotto. Und danach noch eine der Balkenspiralgalaxien (engl.): Milky way, und zwar mit Candy-Cream und extra large.