Hinter der Diskussion um die doppelte Staatsbürgerschaft steckt der nicht zu überwindende Wunsch, in „Wir“ und „Die“ zu unterscheiden, meint unsere Kolumnistin Katja Bauer.

Berlin - Seit der türkische Präsident Erdogan den Putsch niedergeschlagen hat, „säubert“ der Mann, wie er es nennt, sein Land. Mit Demokratie hat das wenig zu tun. Auch unter Deutschtürken gibt es viele Erdogananhänger. Neulich haben sie in Köln demonstriert. Das kann einem von Herzen zuwider sein. Meinungsäußerungen, die einem zuwider sind, dürfen in der Demokratie allerdings vorkommen. Sonst wäre es ja keine, siehe Türkei.

 

Erstaunlich ist die Debatte, die sich nach Köln hier entwickelt hat. Vordergründig geht es ums Staatsbürgerschaftsrecht, in Wahrheit aber wohl um den augenscheinlich nicht zu überwindenden Wunsch, in „Wir“ und „Die“ zu unterscheiden. Am deutlichsten hat der CDU-Mann Jens Spahn formuliert, was er denkt – richtiger: was er fühlt. Deutschland müsse neu über die doppelte Staatsbürgerschaft nachdenken, meint Spahn. Seine Erklärung: Wessen Herz für Erdogan schlage, der solle das in der Türkei kundtun. „Dem müssen wir eine Entscheidung abverlangen. Unser Staatsoberhaupt heißt Joachim Gauck.“

Die Staatsbürgerschaft ist ein hohes Gut

Spahn ist Deutscher von Geburt, sein Glück. Denn mit seinem Demokratieverständnis wäre es beim Einbürgerungstest womöglich schwierig geworden. Man darf in einer Demokratie seine Meinung äußern, egal, welchen Pass man dabei in der Tasche hat. Die Staatsangehörigkeit verpflichtet nicht zur Loyalität mit dem jeweiligen Machthaber. Sie ist als einmal gewährtes Recht ein hohes Gut. Mit umgekehrten Vorzeichen lässt sich ihr Wert an der Sanktion einer Ausbürgerung ablesen: Das machen Unrechtsregime, wenn sie eines Dissidenten nicht habhaft werden. In Deutschland ist es verboten.

Man darf auch illoyal gegenüber dem Bundespräsidenten sein

Man darf also zum Beispiel Deutscher sein und dem Bundespräsidenten total illoyal gegenüberstehen. So wie die Leute, die Gauck in Sebnitz oder Dresden „Volksverräter“ und „Schwein“ entgegenbrüllen. Wenn man ausschließlich den deutschen Pass hat, darf man also auch Erdogan toll finden. Man muss sich dann nicht fragen lassen, ob man besser „nach drüben“ geht. Und das ist genau das Problem an Spahns Vorstoß. Er unterscheidet in richtige Deutsche und weniger richtige. Er tut so, als hätten alle zu einem Zeitpunkt x gleichzeitig auf einem Spielfeld gestanden und sich für ein Trikot entschieden, und manche wüssten halt nicht, für welche Mannschaft sie sein sollen. Es gab aber nicht denselben Startpfiff für alle.

Es gibt 4,3 Millionen Doppelstaatler, 500 000 davon mit deutschem und türkischem Pass. Lange wurde über die doppelte Staatsbürgerschaft gestritten. Man kann die deutsche Lösung als halbherzig kritisieren. Aber man darf nicht vergessen, worauf sie fußt: Auf einem Staat, der kein Einwanderungsstaat sein wollte und sich aufs Blutrecht berief, der zwei Generationen hat aufwachsen lassen, die immer wieder aufs Amt und bitten mussten – um Erlaubnis zum Aufenthalt. Das sitzt tief.

Wer von einem Pass allein Integration erwartet, ist naiv

Nun wird kritisiert, der Doppelpass habe nicht zu besserer Integration geführt. Wer das von einem Dokument allein erwartet, ist bestenfalls naiv. Wer sich heute mit Menschen unterhält, die zwei Pässe haben, Leuten, die hier geboren sind, aber deren Eltern Einwanderer waren, Menschen, die in binationalen Ehen leben, der hört komplizierte Geschichten von Identität. Man wird keinen einzigen von ihnen gewinnen, indem man einem Teil seiner Identität misstraut.