Über den Dächern Stuttgarts haben Schönheiten der Stadt Gutes getan. Im Kampf gegen Krebs sind Mutmacher wichtig. Charity ist aber auch ein beliebtes Synonym für Werbung, meint unser Kolumnist Uwe Bogen.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Störrisches Haar ist dir gegeben? Bad hair days kommen dabei heraus. Mitunter weiß man aber nicht, ob der Träger wilder Strähnen einen dieser schlechten Tage schlechter Frisuren erwischt hat oder ob er sich Mühe gegeben hat, mit geordneter Unordnung auf seinem Haupt etwas verwegen auszusehen.

 

Das Gegenteil von bhd, bad hair days, sind ghd, good hair days. So heißt die britische Firma, die 2001 mit dem Klassiker in Start-up-Erfolgsgeschichten begonnen hat: mit einer Erfindung in einer Garage. Die ghd-Gründer kamen auf eine neue Hitzetechnik für das, was zuvor Glätteisen und Lockenstab hieß. Sie nannten ihre neuen Heißgeräte Styler. Und schon dürfen Menschen das tun, was sie gern tun. Immer wollen wir genau das haben, was uns die Natur verweigert. Seit Adam und Eva ist das so.

Lockenträger wollen glatte Haare. Glatthaarträger wollen Locken. Solche Sorgen haben die, denen es gut geht im Leben. Doch es gibt auch Menschen, denen sind Wellen im Haar ziemlich egal. Wechselnde Styling-Wünsche sind ihnen fremd. Sie haben nicht viele Wünsche, sondern nur einen einzigen: den Wunsch, gesund zu werden!

Bloggerin Robyn Byn will „Selbstbewusstsein“ weitergeben

Auf der Dachterrasse eines Hauses im Stuttgarter Westen leuchten Lichter und baumeln Luftballons sanft im Nachtwind. So viele junge, schöne Frauen treffen sich an diesem Abend unterm Sternenhimmel, dass man meinen könnte, gleich werde die Vorentscheidung einer Miss-Wahl ausgerichtet. Krank sehen sie nicht aus. Sie sind gekommen, um Kranken zu helfen.

Beim „Pink Charity Event“, wie sich die Veranstaltung in den Schulungsräumen für Friseure sowie auf der angegliederten Dachterrasse nennt, wird Geld gesammelt. Der Erlös geht an die Deutsche Knochenmarkspenderdatei sowie an Brustkrebsorganisationen. Die Gäste, die eine hohe VSBB-Quote (von Schönheit bevorzugt behandelt) zustande bringen, lächeln in Handys und Fotoapparate. Dazu tragen sie pinkfarbene Schilder, auf denen Wörter und Sprüche zur Motivation kranker Menschen stehen. „Ermutige Frauen im Kampf gegen Krebs“, steht da drauf oder auch nur „Selbstbewusstsein“ wie bei Bloggerin Robyn Byn.

Bei der Instagram-Aktion zum Pink-Abend werden unter #keepshining Selfies gemacht, für die das Styling-Unternehmen, das nach eigenen Angaben Ausstatter vieler Hollywood-Stars ist, Spendengelder bezahlt. Die Schwestern Lavinia und Sophia verkaufen über den Dächer des Westens Tombola-Lose für jeweils zehn Euro. Wie hoch der Anteil der Nieten sei, werden sie gefragt. Nieten? Überhaupt keine gibt’s! So lautet die Antwort. Wer in der Tombola leer ausgeht, habe ein besseres Karma gewonnen. Alicia Keys und Boy George haben es besungen: Karma - die spirituelle Lebensweisheit, nach der jede Tat ihre Folgen nach sich zieht, in diesem oder in einem nächsten Leben. Demnach bleibt nichts ungestraft. Gute Taten hingegen zahlen sich aus.

Dauerwellen sind out

Hilft also, wer kranken Menschen hilft, am Ende sich selbst? Was ist dagegen einzuwenden? Eine der beiden Losverkäuferinnen trägt ein schwarzes Kleid mit Spitzensaum. Und beide haben künstlich eingedrehte Locken im Langhaar, wie dies Schauläuferinnen auf den roten Teppichen der Welt gerade vormachen. Beach-Waves, so wird dieser Trend genannt. Auch wenn Verena Schöneberg, auf deren Visitenkarte „Head of Education bei ghd Deutschland“ steht, sagt, die kleinen Ringellocken der Dauerwellen seien völlig out, hat dies nur wenig zu bedeuten. Je mehr was out ist, desto größer werden die Chancen auf ein Comeback. Die Schönheitsbranche braucht den ständigen Wechsel in der Mode, muss also immer neue Sehnsüchte wecken.

Umsatz soll verdoppelt werden

Wenn der Hersteller des Heißstabs zum Benefizfest mit traumhafter Aussicht bittet, geschieht das nicht nur, um ein paar Karma-Punkte der Geschäftsleitung gutzumachen. Charity – dies ist ein beliebtes Wort, um Werbung zu landen. Thys Niermeyer, Chef von ghd Deutschland mit Sitz in Stuttgart, spricht nicht groß drum herum. Sein weltweit agierendes Unternehmen will den Umsatz in Deutschland verdoppeln. Mit Benefizaktionen steigert man die Bekanntheit.

An „Styling-Stationen“ haben die Gäste die Chance, ein bisschen schöner zu werden. Friseurin Viktoria Bozic vom Ludwigsburger Salon Erdbeerschnitte bittet den Schreiber dieser Zeilen vor ihren Spiegel, um ihm erst mal das extra für diesen Abend aufgebrachte Haargel rauszubürsten. Dann glättet sie mit dem Styler die Haare. Akkurat sieht’s aus, brav und ordentlich. Willkommen beim OSB-Club (ohne Schönheit benachteiligt). Hashtag: keepshining – dies gilt auch jetzt. Strahle einfach weiter!