Die Daten, die der Lander Philae vom Planeten Tschuri schickt, geben erstaunliche Einblicke über die Bedingungen dort. Forscher enthüllen im Wissensjournal „Science“ die ganze Geschichte, die mit einer unglücklichen Landung begann und mit verblüffenden Erkenntnissen weiter geht.

Stuttgart - Einfach ist die Landung für das winzige, nur unter einem Mikroskop sichtbare Insekt auf der Kartoffel nicht gerade. Vor allem, weil der Mikro-Floh keine Flügel zum Manövrieren hat und nur die kaum wahrnehmbare Schwerkraft der Knolle ihn zu seinem ausgesuchten Landeplatz zieht. Diese Bild greift die Größenverhältnisse des Kometen Tschurjumow-Gerassimenko (in diesem Bild die Kartoffel) und des Landers Philae auf, der am 12. November 2014 auf der Oberfläche des kartoffelförmigen Kometen gelandet ist. An diesem Tag meisterten die Konstrukteure des unbemannten Raumfahrzeugs Rosetta der Europäischen Weltraumorganisation (Esa) eine schwere Aufgabe. Der ausgeguckte Landeplatz für Philae lag an der Spitze der vier Kilometer langen und 3,5 Kilometer dicken Kartoffel aus Schnee und Staub. Der etwa würfelförmige Lander mit der Kantenlänge von einem Meter wird von Rosetta weit draußen im Weltraum zwischen den Bahnen der Planeten Mars und Jupiter ausgesetzt, wo der Komet Tschuri gerade seine Bahn zieht. Nach seiner Landung hat dieser Mikro-Floh verblüffende Daten gesendet, die eine Reihe von Forschern jetzt im Wissenschaftsmagazin „Science“ präsentieren.

 

Die Reise beginnt am 2. März 2004, als eine Ariane-Rakete den von EADS Astrium in Friedrichshafen am Bodensee gebauten Satelliten von Südamerika aus in den Weltraum hievt. Auf einer ausgetüftelten Odyssee durch das Planetensystem sind diese drei Tonnen Satellit mehr als zehn Jahre unterwegs. Im August 2014 erreicht Rosetta den Kometen und kreist seither in einem Abstand von 10 bis 200 Kilometern um Tschuri. Ein Vierteljahr später lösen die Esa-Ingenieure im hessischen Darmstadt die Verbindung zwischen Philae und Rosetta. Knapp sieben Stunden „stürzt“ der Apparat mit einer Geschwindigkeit von drei Kilometern pro Stunde aus einer Höhe von 20 Kilometern zur Oberfläche hinunter.

Steuern können die Esa-Ingenieure diesen Abstieg nicht, schließlich braucht ein Funksignal für die 500 Millionen Kilometer von Tschuri zur Erde fast eine halbe Stunde. „Trotzdem aber schafft Philae praktisch eine Punktlandung und verfehlt sein Ziel um gerade einmal 51 Meter“, schildert der Kometenforscher Ekkehard Kührt vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Die Oberfläche von Tschuri ähnelt an der Landestelle einer mindestens 20 Zentimeter tiefen Schicht aus weichem Schnee, berichten DLR-Forscher Jens Biele und seine Kollegen jetzt in „Science“. Trifft der Weltraum-Floh dort auf, passiert das gleiche wie bei einem Trampolin: Erst lässt der Schwung Philae ein wenig einsinken, dann schleudert der Komet den Apparat im Zeitlupentempo wieder zurück ins All. Zwei Harpunen, die Philae in der Oberfläche verankern sollten, lösten nicht aus. Auch wenn die Schwerkraft des Kometen den auf der Erde 100 Kilogramm wiegenden Lander dort gerade einmal ein Gramm wiegen lässt, genügt diese Kraft doch, um Philae zwei Mal zurückzuholen. Nach einer Stunde und 57 Minuten kommt Philae bei seiner dritten Landung dann endlich zur Ruhe.

Allerdings steht der Lander am Rande eines Kraters nur auf zwei seiner drei Beine. „Vor und hinter dem Lander scheint eine Wand zu sein, vielleicht steckt er zwischen zwei Eisbrocken“, schildert DLR-Forscher Tilman Spohn die Situation. Da Philae keinen eigenen Antrieb hat, kommt er aus dieser Klemme auch nicht mehr heraus. Dummerweise erreicht dort viel weniger Sonnenlicht als vorgesehen die Solarzellen, Philae zehrt daher erst einmal von der in seiner Batterie gespeicherten Energie, übermittelt einen großen Teil der auf der Oberfläche von Tschuri aufgezeichneten Daten – und fällt am 15. November 2014 in eine Art Winterschlaf.

Die Daten enthüllen ein deutlich anderes als das erwartete Bild von Tschuri. Stefano Mottola vom DLR in Berlin-Adlershof sieht auf den Bildern der Kamera von Philae nicht etwa einen schmutzigen Schneeball, sondern eine Art Kies auf der Oberfläche mit einer Größe zwischen einem Zentimeter und fünf Metern. Für normalen Schnee ist dieser Schutt viel zu dunkel. Die Analysen zeigen eine Mischung aus festem Wassereis, Kohlenmonoxid, Kohlendioxid und reichlich Weltraumstaub.

Hinter einem fünf Meter großen Schuttbrocken sieht Stefano Mottola einen Haufen von kleinerem Kometenschutt, der im Windschatten eines Felsens abgelagerten Wüstensand ähnelt. Nur gibt es auf Tschuri keine nennenswerte Atmosphäre und daher keinen Wind. Nähert sich der Komet der Sonne, verdampft vermutlich aus dem Inneren immer wieder Material, das Brocken herausschleudert, die anschließend wie Philae auf den Kometen zurückfallen und über die Oberfläche schleifen. Das würde nicht nur den Kometenschutt im „Windschatten“ erklären, sondern auch die seltsamen Schleifspuren, die Mottola auf den von Philae gesendeten Bildern sieht. DLR-Forscher Tilman Spohn wiederum ist diesem Ausschleudern auf der Spur. Dazu sollte Philae eigentlich einen Temperatursensor 40 Zentimeter tief in den Kometenboden hämmern. „Dreieinhalb Stunden schlug der Hammer auf das Gerät, eingedrungen ist die Sonde dabei nicht“, wundert sich der Planetenforscher. Inzwischen haben die Wissenschaftler ausgerechnet, dass die Oberfläche von Tschuri nicht wie erwartet lockerem Schnee ähnelt, sondern eher einer Schneeschicht gleicht, die von vielen Füßen fest getrampelt wurde. Spohn hat einen Verdacht, wie diese harte Oberfläche entsteht: „Das Sonnenlicht könnte immer wieder Schnee verdampfen. Ein Teil dieses Gases kondensiert dann am restlichen Schnee und backt dabei das Ganze zu einer festeren Masse zusammen.“

Obendrein isoliert diese harte Oberfläche das Innere des Kometen recht gut gegen den Weltraum. Wenn die Sonnenstrahlen an der Oberfläche Eis verdampfen, trägt das Gas Energie auch in das Innere von Tschuri. Diese Wärme könnte Dampfexplosionen auslösen, die immer wieder ein wenig Schutt von der Oberfläche wegsprengen. „Bis zu zehn Meter tief kann das Material bei einem Umlauf um die Sonne so abgetragen werden“, erklärt Kührt. Dadurch aber taucht immer wieder Material an der Oberfläche auf, das seit dem Entstehen des Sonnensystems vor 4,5 Milliarden Jahren unberührt im Inneren von Tschuri ruht. Dieses Gemisch aus Eis und Weltraumstab aus der Wiege unserer Erde können die Forscher unter die Lupe nehmen.

Philae erwacht erneut

Energie
Am 13. Juni hat sich die Sonde Philae unerwartet wieder beim Mutterschiff Rosetta gemeldet. Der Komet fliegt nun deutlich näher an der Sonne, jetzt liefern die Solarzellen wieder genug Energie. Die Batterien hatten nach der Landung am 12. November nur etwas mehr als zwei Tage durchgehalten. „Seither folgten acht weitere Kontakte, jeder von ihnen völlig unvorhersehbar“, sagt Ekkehard Kührt vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt.

Daten
Bisher sendet Philae nur Meldungen über seinen Zustand. Demnach geht es ihm gut. Aber er funkt keine Forschungsdaten, weil die Verbindung zu Rosetta nicht stabil ist.