Zwischen der EU und Russland herrscht nur noch Sprachlosigkeit. Die Europäer fremdeln mit der rigiden Innenpolitik des Kremlherrschers. Der wiederum betrachtet die EU nur als einen Spieler unter vielen auf der Bühne der Weltpolitik.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Brüssel - Einen Tag bevor der russische Präsident Wladimir Putin zum EU-Russland-Gipfel nach Brüssel geeilt ist, hat er zu Hause in Moskau die Fragen der heimischen Reporter beantwortet. Es ist eine Marathonsitzung gewesen, mehr als vier Stunden lang. Nach nahezu allem und jedem ist Putin dabei gefragt worden, zu nahezu allem und jedem hat er geantwortet. Selbst der Weltuntergang war Thema. Europa ist allerdings kaum zur Sprache gekommen. Das Desinteresse der russischen Reporter an diesem Politikfeld ist symptomatisch. Viel haben sich Europa und Russland gerade nicht zu sagen. Dementsprechend gering waren die Erwartungen an den Gipfel – und sie haben sich bestätigt. Die immerhin schon 30. Auflage des EU-Russland-Gipfels war nicht mehr als eine müde Pflichtaufgabe.

 

Europa hat zunehmend Schwierigkeiten mit einem Russland, das sich immer weiter von den Standards für Menschenrechte und Demokratie verabschiedet, welche hierzulande als notwendig angesehen werden. Die russische Regierung ist es leid, eben diese Vorhaltungen gebetsmühlenhaft anhören zu müssen. Die wirtschaftliche Verflechtung verhindert noch die ganz große Konfrontation, wie sie sich gerade zwischen Washington und Moskau abzeichnet. Das amerikanisch-russische Verhältnis war schon lange nicht mehr so schlecht wie in diesen Tagen. Verglichen damit ist die Sprachlosigkeit zwischen Brüssel und Moskau fast schon wieder so etwas wie eine innige Beziehung – doch der steht in absehbarer Zeit Ärger ins Haus.

Beim Gas droht neuer Ärger

Das liegt weniger an der Zollunion zwischen Kasachstan, Weißrussland und Russland, die Putin gerne zu einer Eurasischen Union ausbauen würde, um ein Gegengewicht zur EU zu schaffen. Es ist höchst zweifelhaft, ob diese Pläne jemals Erfolg haben werden. Doch sehr viel früher könnte die russische Gas(preis)politik Ärger bereiten. Denn seitdem die USA die Rolle des weltweit größten Gasproduzenten übernommen haben, fallen jenseits des Atlantiks die Preise. Das wird Auswirkungen auf die Gasverträge mit Russland haben. Gas ist in Russland Chefsache, und Putin hat dabei wenig Spielraum. Er braucht die Gasmilliarden, um sein Volk zu Hause wenigstens teilweise ruhigstellen zu können.

Es ist gerade einmal ein Jahr her, dass es in Moskau die größten Massenproteste seit mehr als zwei Jahrzehnten gegeben hat. Viel ist davon heute nicht mehr zu sehen. Die Hunderttausend, die im Dezember des vergangenen Jahres gegen Wahlfälschungen und gegen Putin auf die Straße gegangen sind, bleiben nun zu Hause. Putin sitzt fest im Sattel, so scheint es jedenfalls.

Das Volk wird zur unberechenbaren Größe

Doch die Ruhe ist trügerisch. Erstmals seit Putins Machtantritt vor 13 Jahren ist eine Mehrheit der Russen der Ansicht, ihr Land bewege sich in die falsche Richtung. Es grummelt im Verborgenen, trotz zahlreicher sozialer Wohltaten und einer mit viel Schwung ins Leben gerufenen Antikorruptionskampagne, die erstmals auch bedeutende Politiker getroffen hat. Landwirtschaftsministerin Elena Skrynnik und Verteidigungsminister Anatolij Serdjukow mussten gehen, wobei aber vor allem die Ablösung Serdjukows dem Kremlherrscher sehr gelegen kam. Mit dem neuen Mann im Ressort weiß Putin die Führung der Armee uneingeschränkt hinter sich – da, wo die Führungen von Polizei und Geheimdienst bereits stehen.

Das Volk kann aus seiner Lethargie jederzeit erwachen und wieder auf die Straße gehen, die Organe des Staates braucht Putin auf absehbare Zeit hinaus so wenig zu fürchten wie den Weltuntergang. Dieser werde, der Maya-Prophezeiung zum Trotz, nicht am 21. Dezember stattfinden, hatte Putin bei seiner Mammutkonferenz vorhergesagt, sondern erst in viereinhalb Milliarden Jahren. Auf Prognosen für die nähere Zukunft hat er lieber verzichtet – die sind selbst für ihn ungleich komplizierter.