Osama bin Laden hatte den Krieg verloren. Doch er hat den Westen verändert. Ein Kommentar von Dieter Fuchs.

Seite Drei: Dieter Fuchs (fu)

Stuttgart - Es hat Zeiten gegeben, da hätte die Nachricht von Osama bin Ladens Tod auch hierzulande mehr als nur Erleichterung ausgelöst. Nach dem Anschlag in New York 2001 versammelte sich der schockierte, verängstigte, wütende Westen hinter der Fahne der USA und marschierte in Afghanistan ein, um Al-Qaida zu zerschlagen. Unbedingte Solidarität und die Verteidigung der westlichen Werte wurden beschworen. Bin Laden galt als größte politische Gefahr seit dem Kalten Krieg. Doch die Welt hat sich weitergedreht. Der Westen hat mit Polizisten, Spionen und Diplomaten die Herausforderung gemeistert, und die Bürger in der islamischen Welt machen derzeit überdeutlich, was sie eigentlich wollen. Bin Laden hatte den globalen Krieg schon verloren. Der Tod des Untoten wird daran nichts ändern.

 

Dennoch ist die Begeisterung in den USA verständlich. Osama bin Laden zog die Fäden bei der schlimmsten Attacke auf amerikanisches Territorium seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Zerstörung des World Trade Center - auch möglich geworden, weil die US-Dienste versagt hatten - machten ihn zur absoluten Hassfigur. Der Anschlag am 11. September 2001 brachte die Freiheitsideale der Nation ins Wanken und führte das Land in einen verlustreichen, teuren und glanzlosen "Krieg gegen den Terror". Bin Ladens Tötung durch US-Truppen richtet den Stolz der Nation wieder auf, nährt ihren Glauben an Gerechtigkeit und bildet einen wichtigen Baustein für die Wiederwahl von Präsident Barack Obama.

Gerne wird übersehen, dass die USA geholfen haben, Osama bin Laden zu einer historischen Gestalt zu machen. Washington benutzte den Saudi in den achtziger Jahren im Kampf gegen die Sowjets in Afghanistan. Mit US-Hilfe entwickelte er seine Ideologie des Dschihadismus, die darauf abzielt, mit Gewalt einen islamistischen Gottesstaat zu schaffen. Dann fiel er in Ungnade. Bin Laden erregte bei der CIA wenig Besorgnis - bis er Amerika 1997 den Krieg erklärte. Da wurde sein Mythos geboren.

Bin Laden hatte außer wolkigen Heilsversprechen nichts zu bieten

Schon zu jener Zeit war er auf der Flucht und auf die Hilfe anderer angewiesen. Doch Osama bin Laden benutzte seine historische Stunde. Er erkannte die Blindheit des Westens gegenüber der islamischen Welt. Er benannte die schreiende Ungerechtigkeit und die Unterdrückungsmechanismen in den muslimischen Ländern. Er hatte durch seine wenigen Kriegseinsätze und sein asketisches Leben Glaubwürdigkeit gewonnen. Er bot der letzten verbliebenen Supermacht die Stirn und nutzte die Schwäche des Westens, um ihn empfindlich zu treffen. Das machte Bin Laden in Teilen der muslimischen Welt zur Ikone.

Doch sein Mythos ist seit Jahren verblasst. Wer heute mit dem radikalen Islamismus liebäugelt, verehrt den Hisbollah-Chef Nasrallah oder gar den iranischen Präsidenten Ahmadinedschad, die praktische Machtpolitik betreiben. Bin Laden hatte außer wolkigen Heilsversprechen nichts zu bieten. Seine Vorstellungen von einer Gesellschaft, die in den Verhältnissen des frühmittelalterlichen Islams lebt, war nie mehrheitsfähig. Die arabische und iranische Jugend kämpfen derzeit um ihre Teilhabe an der Moderne, nicht um ihre Überwindung.

Der Westen wiederum hat seitdem darauf verzichtet, mit Invasionen Terroristen zu bekämpfen, und er hat ideologisch abgerüstet, um Al-Qaida nicht unnötig mit Bedeutung aufzuladen. Zwei Dinge jedoch hat Osama bin Laden uns hinterlassen. Dschihadistischen Terror wird es noch lange geben. Jeder Fanatiker kann sich darauf berufen. Es braucht keine Terrorzentrale mehr. Und der Erfinder Al-Qaidas hat dem Westen ein Stück Freiheit und Humanität genommen. Das Reisen hat sich ebenso verändert wie unsere Sicht auf Gewalt. Gezielte Tötungen, die Haft von vermeintlich gefährlichen Personen, fragwürdige Gerichtsverfahren - all das ist bei vielen akzeptiert. Man sollte sich nicht daran gewöhnen.