Der Verrat von Edward Snowden hat gezeigt, wie weit die Geheimdienste in unser Leben vorgedrungen sind. Ist das der Preis, den wir für mehr Sicherheit bezahlen müssen? Der StZ-Autor Thomas Klingenmaier bemüht sich um eine Antwort.

Stuttgart - Siegfried der Drachentöter war eine Ein-Mann-Supermacht. Seit er sich im Blute eines Lindwurms gebadet hatte, konnte kein Schwert mehr seine gehärtete Haut auch nur ritzen. Hagen von Tronje allerdings streckte ihn mit einem gewöhnlichen Speer nieder. Hagen hatte von der einen kleinen Stelle an Siegfrieds Rücken erfahren, an der nur normale Haut das Innere schützte. Wissen ist Macht. Information ist eine Waffe.

 

Wer am Flughafen in der Schlange vorm Metalldetektor wartet, denkt nicht unbedingt ans Nibelungenlied. Er mag schlicht genervt sein von den Kontrollen. Das Meckern darüber dürfte aber selten den Wunsch nach ihrer Abschaffung ausdrücken. Meist findet darin wohl die Sorge ein Ventil, alle Durchleuchtungen und Abtastungen könnten doch eine Lücke lassen.

Nun mögen Flughäfen noch eine ganze Weile aufrüstbar sein im Wettlauf von Finde- und Verstecktechniken. Der öffentliche Raum in unseren Städten ist es nicht. Wer jene stoppen will, die jeden Ort des Zivillebens als legitimes Ziel asymmetrischer Kriege begreifen, der muss ihre Pläne herausfiltern aus jenen Kanälen, über die wir alle kommunizieren. Wenn etwas überall versteckt werden kann, muss überall danach gesucht werden dürfen, wenn es gefunden werden soll.

Der Unterschied zwischen Assange und Snowden

Diese so logische wie beängstigende Vorstellung beeinflusst unser Verhältnis zu Edward Snowden, dem Geheimdienstaussteiger, der aller Welt verraten hat, wie weit sich amerikanische und britische Behörden in unser Privatleben vorgewühlt haben. Snowdens Verrat konfrontiert uns mit einer harten Wahrheit, um die wir sonst gern herumdenken: Möglichst großen Schutz vor den einen gibt es nur um den Preis möglichst großer Selbstauslieferung an die anderen.

Die Enthüllungen des Wikileaks-Gründers Julian Assange betreffen uns auf andere Weise als die neuen von Edward Snowden. Assange machte das Treiben von Geheimdienstlern und Diplomaten auf diversen Weltbühnen öffentlich, dem wir nun aus unserem Leben heraus so zuschauen konnten, als sei in der Dunkelheit mit einem Mal – und ohne viel Rücksicht auf Schutzbedürftige – Licht gemacht worden.

Snowdens Aussagen über das Ausmaß der elektronischen Schnüffelei machen dagegen klar, dass das Spielfeld der Geheimdienste nun das Leben jedes Einzelnen ist. Jeder von uns ist Angriffsziel von Informationsraubzügen. Die beste Spionageliteratur, die Romane von John le Carré etwa, in deren Zusammenhänge wir reale Nachrichten über Agenten gerne stellen, hat stets gewarnt. Jeder, der sich dort irgendwie mit Geheimdiensten einlässt, wird von ihnen betrogen und benutzt. Snowden nachzuschauen, wohin er jetzt flieht, lenkt von der Frage ab, wohin wir eigentlich noch fliehen können. Sind Bürger, die der ungefragten Informationsabschöpfung unterzogen werden, auch in Gefahr, den Diensten als Spielmaterial globaler Ränke zu dienen? Können wir uns wehren? Und wie stark sollten wir die Dienste zügeln?

Geheimdienste entziehen sich aller Kontrollen

Es ist leicht, die Frage zu beantworten, welche Daten wir preisgeben wollen: keine natürlich. Die Frage, welche Daten wir aber zähneknirschend offenbaren sollten, um die Chance auf mehr Sicherheit zu erhalten, ist weit schwerer zu beantworten. Vor allem, weil wir wissen, dass es in der Natur von Geheimdiensten liegt, die eigenen Aktivitäten allen Kontrollen zu entziehen.

Der Drang, alles zu wissen, ist alt. In einer Variante der Siegfried-Saga empfängt dieser Recke vom Drachenblut noch eine ganz andere Gabe als dicke Haut: Er kann nun die Sprache der Vögel verstehen. Die besaßen damals das weltgrößte Schau-, Horch- und Zwitschernetz. Der Wunsch, Verräter so abschreckend zu strafen, dass Zungen künftig gehütet werden, ist aber ebenso alt. Um Edward Snowden wird man sich noch lange Sorgen machen müssen.