In der Metall- und Elektroindustrie rollt die Warnstreikwelle. Die Beschäftigten treten für höhere Löhne ein – aber auch für unsere Werte, meint StZ-Redakteur Matthias Schiermeyer.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Die Deutschen, so könnte man meinen, sind ein streiklustiges Volk geworden. Immer wieder kommt es zu Arbeitsniederlegungen. Die Gewerkschaften nutzen den Aufwind in der Gesellschaft; mitunter befeuern sie auch die Konkurrenz untereinander. Nicht selten spüren die Bürger die Streiks ganz direkt – wie neulich im Luftverkehr oder bei der Post.

 

Anders als in Südeuropa ist der Arbeitsfrieden hierzulande aber nicht in Gefahr – selbst wenn jetzt auch noch Zigtausende von Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie auf die Straße gehen. Warnstreiks nach dem Ende der Friedenspflicht gehören zum üblichen Bedrohungsszenario der IG Metall – Lockerungsübungen sozusagen. Ernst wird es erst, wenn sich ein längerer Kampf von Mitte Mai an abzeichnet. Dann werden die Aktionen massiven Schaden anrichten. Doch das ist trotz der jüngsten Warnungen eher unwahrscheinlich.

Generell eignen sich Tarifkonflikte nicht als Schauplatz politisch aufgeheizter Schlachten. Doch haben sich die Vorzeichen in der Republik geändert. Der Verteilungskonflikt wird schärfer geführt als noch vor Jahren. Die Gewerkschaften gehen nicht nur massiv gegen die Verwerfungen der Arbeitswelt mit immer mehr prekärer Beschäftigung vor. Sie setzen auch die Parteien unter Druck, die Frage der Gerechtigkeit zu ihrem Thema zu machen.

Der neue Modebegriff Umverteilung

Was vor geraumer Zeit nur ein ideologischer Kampfbegriff war, gehört nun zum politischen Standardrepertoire: die Umverteilung. Der jahrzehntelangen Begünstigung des Kapitals soll jetzt die Umverteilung von oben nach unten folgen, fordert das linke politische Lager. Dass SPD, Grüne und Linkspartei diesen Anspruch in ihren Wahlprogrammen aufgreifen, ist normal. Wann, wenn nicht bei Wahlen, soll über konträre Gesellschaftsentwürfe entschieden werden? Davon lebt die Demokratie.

SPD und Grüne korrigieren damit frühere Entscheidungen. Sie haben in der Regierung mit dafür gesorgt, dass sich Parallelgesellschaften bilden konnten. Oben wurden die Wohlhabenden mit Steuersenkungen gepäppelt, unten macht der Sozialstaat Armut zum halbwegs erträglichen Dauerzustand. So konnten sich Ober- und Unterschicht aus der Solidarität verabschieden und dem Mittelbau die Hauptlast überlassen. Ein wesentlicher Faktor ist der Umstand, dass leistungslose Kapitaleinkünfte viel geringer besteuert werden als Arbeitseinkommen. Diese unsinnige Ungleichbehandlung wollen selbst SPD und Grüne in ihren Steuerkonzepten nicht hinlänglich zurechtrücken. Somit dürften die privaten Vermögen weiter rapide wachsen.

Hoeneß gibt der Geldgier ein Gesicht

Die Finanz-, Wirtschafts- und Schuldenkrise hat die Beschäftigten dafür sensibilisiert, was in Deutschland im Argen liegt. Erst die irren Spekulationen der Finanzindustrie und die überzogenen Managergehälter, jetzt die Steuerbetrüger: immer deutlicher wird, dass einem Teil der Geldelite die für den Zusammenhalt der Gesellschaft nötigen moralischen Maßstäbe verloren gegangen sind – zumal wenn sie sich über das Gesetz erhebt. Ob es gerecht ist oder nicht: der Millionenzocker Uli Hoeneß gibt diesem weitgehend anonymen Kreis ein Gesicht, an ihm entzündet sich ein Grundsatzstreit. Folglich stürzt sich die (Talkshow-)Nation auf nur einen Mann.

Somit erleben wir einen atemberaubenden Paradigmenwechsel im Umgang mit Steuerhinterziehung: Was vor Jahren noch als Steuersünde hingenommen wurde, will die Politik nun als kriminellen Akt bekämpfen. Steueroasen werden nicht mehr akzeptiert; die Schweizer haben es schon kapiert. Manche Ankündigung mag dem Wahlkampf geschuldet sein, doch der Zug lässt sich nicht mehr aufhalten. Taten müssen folgen. Die für ihr Nettogehalt hart arbeitenden Menschen wollen eine Zementierung von Ungerechtigkeiten nicht mehr klaglos akzeptieren. Auch deswegen gehen sie in den Tarifkonflikten auf die Straße.