Vor Anschlägen gibt es nirgendwo Sicherheit. Eine demokratische Gesellschaft muss das aushalten, findet der StZ-Politikredakteur Christian Gottschalk.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Stuttgart - Es hat Zeiten gegeben, da hat es keines Bekennerschreibens gebraucht, um zu wissen, wem ein Terroranschlag zuzuschreiben gewesen ist. Die RAF in Deutschland, die IRA in Großbritannien oder die Eta in Spanien haben ihr Leid bringendes Handwerk mit einer deutlichen Handschrift verübt. Das ist heute anders. Die globalisierte Welt hat einen sehr mannigfaltigen Terrorismus hervorgebracht, und es ist schon bezeichnend, dass über den Attentäter von Toulouse zunächst großes Rätselraten geherrscht hat. Ein Rechtsextremist oder ein Linksradikaler? Ein Antisemit? Ein Mensch, dem es allein darum geht, Aufmerksamkeit zu erlangen? Oder doch ein Rächer von was auch immer? Alles falsch. Wieder einmal ist es das Gedankengut von Al-Kaida, das hinter den Anschlägen steckt. Das musste der Täter allerdings selber erklären. Ein Muster, das unzweideutig Tat und Ideologie miteinander in Verbindung gebracht hätte, gab es nicht.

 

Wie sollte es auch. Die Al-Kaida des Jahres 2012 hat mit der des Jahres 2001, als Flugzeuge entführt und ins amerikanische Herz gelenkt wurden, nicht mehr viel zu tun. Die Terroristen haben keine klassische, hierarchische Organisation wie in einem Staat oder Großkonzern. Nur wenige Hundert Personen stark ist der Kern von Kämpfern, Geistlichen und Beratern. Die Zahl der ideologisch Verbündeten ist hingegen gewaltig. Zum Teil stehen diese Geistesbrüder Organisationen nahe, die Islamischer Dschihad, Islamische Bewegung Usbekistans oder Al-Kaida im Maghreb heißen, zum Teil nicht einmal das.

Der Terror hat sich dezentralisiert

Anschläge jedenfalls werden größtenteils unabhängig von einer zentralen Führungsstelle geplant oder ausgeführt. Im vergangenen Frühjahr, nachdem Frankreich ein Burkaverbot erlassen hatte, grollte und drohte der damals noch lebende Osama bin Laden. Im Herbst gab es eine Welle von Warnungen vor möglichen Anschlägen bei unseren Nachbarn. Und doch kann heute niemand mit Sicherheit sagen, ob der Täter von Toulouse zu denen gehört, vor denen damals schon gewarnt wurde.

So wie niemand sagen kann, wann sich ein ähnliches Drama in Deutschland abspielen wird. Vielfältig sind die Al-Kaida- Sympathisanten auch hier zugegen, und es ist eine Mischung aus guter Arbeit der Sicherheitsbehörden und einer gewaltigen Portion an Glück, dass bis jetzt noch nicht mehr passiert ist als an jenem 2. März des vergangenen Jahres. Zwei US-Soldaten kamen da am Frankfurter Flughafen ums Leben, als ein Kosovo-Albaner das Feuer eröffnete. Dies gilt als der erste islamistische Anschlag in Deutschland, der nicht verhindert werden konnte. Versuchte Anschläge gab es hingegen zuhauf. Da ist die 2007 verhaftete Sauerland-Gruppe, die wegen Verabredung zu Mord und Sprengstoffattentaten inzwischen verurteilt ist. Da ist die sogenannte Düsseldorfer Zelle, die vergangenen April aufflog und mehrere Bombenanschläge geplant haben soll. Da ist dieser Tage der Prozess in Berlin-Moabit gegen einen mutmaßlicher Kämpfer der Deutschen Taliban Mudschaheddin.

Absoluter Schutz ist unmöglich

Al-Kaida von heute, das sind nicht mehr die ganz großen Logistiker, die mit sehr viel personellem und planerischem Aufwand zu Werke gehen. Es sind größtenteils Menschen, die unter uns leben, die oft als integriert gelten und die doch in einer Nebenwelt der geistigen Verblendung zu Hause sind. Menschen, die als Einzeltäter oder in Kleingruppen arbeiten und einen Großteil ihrer Motivation aus der Dschihadpropaganda beziehen, ohne eng mit einer Zentrale verbunden zu sein. Die schlechte Nachricht ist: gegen ihre Machenschaften ist ein absoluter Schutz unmöglich. Anschläge wie in Toulouse wird es immer wieder geben, vielleicht sogar noch schlimmere. Die gute Nachricht: bei allem Leid, das im Einzelfall zu Tage tritt, eine solide, demokratische Gesellschaft sollte sich so nicht aus den Angeln heben lassen.