Es scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis das Assad-Regime in Syrien kollabiert, meint der Nahost-Korrespondent der StZ, Martin Gehlen. Doch der Weg dahin wird immer brutaler, dem Land steht das Schlimmste erst noch bevor.

Kairo - Baschar al-Assad hat ohne Zweifel beide Bilder vor Augen: den Gitterkäfig für Angeklagte mit dem hilflosen Hosni Mubarak und den Pick-up mit dem blutüberströmten Muammar al-Gaddafi auf der Ladefläche. Nach Tunesien, Ägypten, Libyen und Jemen steht in Syrien nun der nächste Machtwechsel im Nahen Osten an. Von allen arabischen Autokraten hat sich bisher aber nur Libyens Gaddafi ähnlich bestialisch gegen seinen Sturz gewehrt wie Assad. Auch nach 17 Monaten Blutvergießen, nach mehr als 19 000 Toten und Zehntausenden von Opfern, die durch die Folterkeller des Regimes gegangen sind, ist kein Ende der Kämpfe in Sicht.

 

Die Gewalt ist erbarmungslos und allgegenwärtig. Und der verhasste Diktator kann froh sein, wenn er am Ende mit dem Leben davonkommt. Kernfiguren aus seinem innersten Zirkel sind nach dem Bombenattentat von vergangener Woche tot oder liegen schwer verletzt im Krankenhaus. Beinahe täglich macht sich ein weiterer General über die grüne Grenze in die Türkei davon. Es scheint zwar nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis das Regime kollabiert, doch niemand kann sagen, ob es noch Wochen oder Monate dauert.

Immer neue Kampflinien

Das Abschlachten hat eine teuflische Wucht erreicht, die das Land und mit ihm Teile der gesamten Region in den Abgrund reißen könnte. Syrien ist ein Herzstück der arabischen Welt. Außenpolitisch kreuzen sich hier die Konflikte zwischen den Golfstaaten und dem Iran, den Vereinigten Staaten und Russland, der Türkei und Iran, Israel und Libanons Hisbollah. Im Inneren sind zu den Fronten zwischen Regime und Opposition längst weitere Kampflinien hinzugekommen – zwischen Nachbardörfern und Nachbarstadtteilen, zwischen Kurden und Arabern sowie Sunniten, Alawiten, Drusen, Schiiten und Christen. Bald, so ist zu befürchten, beginnt die Zeit der brutalen Abrechnung.

Fast jede Familie hat einen Angehörigen verloren oder schwer gefoltert zurückbekommen. Assads Bruder Maher führt seine Elitedivisionen in einen verheerenden Häuserkampf. Die gefürchteten Schabiha-Milizen laufen mit Messern und Gewehren Amok in den Wohnvierteln. Sie wissen, was ihnen blüht, und werden deshalb vor nichts zurückschrecken. Kidnapping und Massaker zwischen der Regimesekte der schiitischen Alawiten und der sunnitischen Mehrheit gehören längst zur mörderischen Realität. Die politische Opposition aber, die die ruinierte Nation eines nicht mehr fernen Tages von Diktator Assad übernehmen muss, ist total zerstritten und praktisch handlungsunfähig. Das Gleiche gilt für die internationale Gemeinschaft, die nach drei Vetos von Russland und China im UN-Sicherheitsrat die letzte Hoffnung auf eine von Diplomaten vermittelte politische Lösung begraben musste.

Das blutige Finale hat begonnen

So sprechen in Syrien nur noch die Waffen. Daran wird auch die in diesen Tagen von der Europäischen Union verabschiedete 17. Verschärfung ihrer Sanktionen nichts mehr ändern. Katar und Saudi-Arabien sorgen für den Nachschub der Rebellen, die USA steuern Kommunikationsmittel und Geheimdienstinformationen bei. Russland rüstet das Assad-Regime weiter hoch. Der Iran hilft dem befreundeten Diktator mit Überwachungstechnik und Beratern aus den Reihen seiner berüchtigten Revolutionsgardisten. Und Syriens Regime droht mit dem Einsatz chemischer Waffen bei einem Angriff von außen.

Homs, Hama, Idlib, Deraa und Rastan liegen bereits in Schutt und Asche. Nun droht das gleiche Schicksal auch Damaskus und Aleppo, den nahöstlichen Weltstädten der Menschheitsgeschichte. In beiden Metropolen lebt knapp die Hälfte aller Familien, die sich bis vor Kurzem noch weitgehend aus dem Konflikt herausgehalten haben. Das blutige Finale in Syrien hat begonnen – und es scheint, als stünde dem Land das Schlimmste erst noch bevor.