Matteo Renzi, der Chef der Demokratischen Partei, hat Italiens Politik überrollt. Ministerpräsident Letta ist zurückgetreten, jetzt ist Renzi der starke Mann. Ob er der Richtige ist, daran hat Paul Kreiner, der Rom-Korrespondent der StZ, seine Zweifel.

Rom - Was Matteo Renzi soeben in Italien durchgezogen hat, ist ein Lehrstück astreiner Machtpolitik. Einen noch anschaulicheren Beitrag zu dem großen Jubiläumsjahr, das sie soeben in Renzis Heimatstadt Florenz gefeiert haben, kann man sich kaum vorstellen: Vor exakt 500 Jahren hat Niccolò Machiavelli seinen „Fürst“ geschrieben.

 

Matteo Renzi ist bei seinem Gewaltmarsch ins Amt des Ministerpräsidenten vorgegangen wie nach Drehbuch. Wer ein Reich erobern will, sagt Machiavelli, muss dort „die Großen zu schwächen suchen” – die Parteigranden „verschrotten”, sagt Renzi – und sich das Volk gewogen machen. „Um seine Stellung zu behaupten“, darf der Fürst nicht nur, er muss sogar tricksen und täuschen. „Er braucht nicht alle Tugenden zu besitzen, muss aber im Rufe davon stehen.“ Sagt Machiavelli – und Renzi verkörpert dies. Der Ministerpräsident, Renzis ruhiger, aber umso arbeitsamerer Parteifreund Enrico Letta hatte da keine Chance.

Alle glauben, das Heil könne nur von Renzi kommen

Seit Renzi im Dezember per Volkes Stimme Chef der Demokratischen Partei geworden war, ließ er keinen Tag aus, die Regierung kleinzureden. Schwach sei sie und lahm, und je länger Renzi seine Zerrüttungsmaschine betrieb, umso mürber wurde die Regierung natürlich. Bis dahin, dass Renzi mit viel Wirbel seine eigenen Pläne zur wirtschaftlichen   und sozialen Rettung des Landes einherfahren ließ – in Konkurrenz zur Regierung seiner eigenen Partei – und damit die laufende Arbeit auch des Parlamentes torpedierte. Am Ende, an dem also, was jetzt der Anfang sein soll, glaubten tatsächlich alle, das Heil könne nur mehr von Renzi kommen.

Aber täuschen sie sich nicht? Sie laufen erneut einem Mann hinterher, der sich als stark stilisiert. Sie vergessen, dass ein Solist nie das Land retten kann, dass eine Regierung nur so stark ist, wie es die Parteien im Parlament zulassen. Renzi hat seine Partei überrollt, aber er hat sie nicht als Ganzes gestärkt, nicht zu gemeinsamen Zielen geeint. Er hat jetzt das Mandat „Mach mal!”. Aber so wie man Italiens chronisch zerstrittene Linke kennt, mit ihren frustrierten Diven, die ihre alten Rankünen niemals begraben, darf man sicher sein, dass die Ersten schon wieder die Messer wetzen.

Italien muss sich von Verkrustungen befreien

Matteo Renzi ist das Spiegelbild zu Silvio Berlusconi. Wie dieser hat er die Politik in extremer Weise personalisiert, anstatt Sachfragen ins Zentrum des Handelns zu stellen. Renzis “Jobs’ Act” vom Januar war ungeachtet der Überschrift weniger ein Plan zur Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit als zur Selbstprofilierung gegenüber Enrico Letta. Und man könnte es als Gipfel der Infamie bezeichnen, dass Renzi – per Beschluss im Parteivorstand – die Regierung Letta als unfähig nach Hause schickt, aber ausdrücklich deren jüngste Reformpläne als „Beitrag zur Lösung der Landesprobleme annimmt“.

In der Hauptsache hat Renzi allerdings recht: Italien muss aus seinen Verkrustungen befreit werden. Das Land braucht einen neuen, auch stürmischen Aufbruch. Die Ochsentour durch die Partei hätte einen wie Renzi verschlissen; das wusste er. Auch deswegen hat er alle Konventionen gebrochen. Dass Renzi – 39 Jahre jung! – ungeduldig ist im Hinblick auf sein Land, das darf man ihm abnehmen. Dass er die Initialzündung zum überfälligen Generationswechsel in Italiens Politik war, steht fest. Nur: warum muss zuerst der auch nur 47jährige Letta weichen? Welches Bild gibt das ab, wenn sich jetzt die Jungen untereinander bekriegen?

Bisher hatte Renzi lagerübergreifend einen starken Rückhalt im Volk. Nur die Art seiner Machtübernahme stößt weitgehend auf Ablehnung. Doch jetzt gibt es kein Zurück mehr. Jetzt muss Renzi liefern. Er ist die letzte Hoffnung vieler und gerade junger Italiener. Talent hat er, vielleicht kann er die Geschichte wenden. Einer wie er kann aber auch verdammt tief fallen.