Der neue Diktator Kim Jong-un hat nach dem Tod seines Vaters einen wackligen Thron bestiegen. Ein Kommentar von Bernhard Bartsch.

Pjöngjang - Nordkoreas neuer Machthaber tritt auf wie sein Vater abgetreten ist: mit einer militärischen Machtdemonstration. Wenige Stunden nach der Bekanntgabe von Kim Jong-ils Tod hat sein jüngster Sohn Kim Jong-un eine Mittelstreckenrakete ins Meer schießen lassen. Die Botschaft scheint eindeutig: Keiner soll glauben, der junge Kim sei weniger gewaltbereit als sein Vater, der Nordkorea zur Atommacht aufrüstete.

 

Die Vorstellung, dass ein knapp dreißigjähriger Tyrannensprössling nun über Nuklearwaffen sowie ein großes Arsenal an chemischen und biologischen Kampfstoffen verfügen könnte, ist beängstigend. Zumal viele Anzeichen darauf hindeuten, dass Kim Jong-un einen wackligen Thron besteigt und leicht dazu verleitet sein könnte, sein Glück in militärischen Abenteuern zu suchen, um sich damit innen- und außenpolitisch Respekt zu verschaffen.

Jahrzehntelang auf Machtübernahme vorbereitet

Wer in Nordkorea nach dem Tod des "Geliebten Führers" allerdings tatsächlich das Sagen hat, ist ein großes Rätsel. Kim Jong-il bemühte sich stets, unberechenbar zu sein - und doch waren seine Bedrohungsstrategien durchschaubar. Mit seinem Tod ist Nordkorea nun wirklich zu einer weltpolitischen Unbekannten geworden. Eine der wenigen Gewissheiten besteht darin, dass der Veränderungsdruck in dem isolierten und verarmten Land gewaltig ist. Das kann im besten Fall zu friedlichen Reformen und im schlimmsten Fall zum Krieg führen.

Sicher ist auch, das Kim III. eine ungleich schwächere Machtbasis hat als sie sein Vater und Großvater gehabt haben. Kim Il-sung regierte mit dem Charisma eines Revolutionshelden, der sich seine Position im Krieg gegen Japaner und Amerikaner erkämpft hatte und seinem Volk die Vision eines Neuanfangs nach sowjetischem Vorbild aufzeigen konnte.

Kim Jong-il konnte mit der Ausstrahlung seines Vaters zwar nicht mithalten, sich dafür aber jahrzehntelang auf seine Machtübernahme vorbereiten und seine Stellung in der Partei und im Militär absichern. Kim Jong-un hat dagegen erst vor einem Jahr die politische Bühne betreten, und obwohl ihm sein Vater ein Machtgeflecht aus politischen Getreuen gesponnen zu haben scheint, bleibt ihm für seine Legitimation nur der schwache Restglanz eines Gründerenkels. Seine Autorität in den Eliten ist gering.

Viele Szenarien sind denkbar

Das politische Überleben von Kim Jong-un und seiner Verbündeten hängt deshalb maßgeblich davon ab, ob sie die Privilegien der Träger des Regimes weiterhin sichern können. Das wird zunehmend schwierig. Je mehr Nordkorea international auf Konfrontationskurs geht, umso weniger kommt es an die Devisen, die es braucht, um die Eliten mit teuren Importwaren zu versorgen.

Eine größere Integration in die Weltgemeinschaft ist für das Regime allerdings gleichermaßen gefährlich.  Denn wenn dem nordkoreanischen Volk bewusst würde, wie vorsätzlich seine Regierung es in den vergangenen Jahrzehnten vom Fortschritt abgeschnitten hat, würde es seine Illusionen über die Kims schnell verlieren. Das Trugbild weiter aufrecht zu erhalten, dürfte das einzige Interesse sein, das die widerstreitenden Fraktionen in Partei und Militär eint. Denn ein Sturz der Kim-Dynastie wäre auch für sie bedrohlich. Ob Kim Jong-un in einer solchen Gemengelage mehr ist als eine politische Marionette, die nach außen Kontinuität vermitteln soll, ist eine der großen Fragen, zu denen Nordkoreabeobachter und Diplomaten Antworten suchen.

Sollte nicht mehr ein allmächtiger Tyrann vom Schlage Kim Jong-ils das System beherrschen, sondern ein Wettstreit unterschiedlicher Kräfte beginnen, dürften sich für das Ausland bald auch Möglichkeiten ergeben, mit diesen Bündnisse einzugehen. Viele Szenarien sind denkbar, und auch wenn noch offen scheint, wie sich die Lage in Nordkorea entwickelt, so dürfte es nach Jahrzehnten politischer Starre doch endlich Bewegung geben.