Barack Obamas Besuch hat gezeigt, dass es in der Freundschaft zwischen Deutschland und den USA holpert. Das liegt an neuen Prioritäten der USA, aber auch Berlin ist nicht unschuldig, meint der StZ-Redakteur Andreas Geldner.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Berlin - Luftbrücke, transatlantische Partnerschaft, Wiedervereinigung – Berlin und Washington haben am Brandenburger Tor wieder einmal routiniert ihre historische Partnerschaft inszeniert. Man blickte zurück, nicht nach vorn: Sogar Barack Obamas Ankündigung, die nuklearen Arsenale Russlands und der USA erneut massiv zu kappen, wirkte wie ein Nachhall des Kalten Krieges. Ein paar auf das deutsche Publikum gemünzte Sätze hatte der US-Präsident dann doch im Gepäck. Er werde die Bemühungen verdoppeln, um das Lager auf Guantánamo zu schließen, versprach er – und streute vorsichtige Töne zur Datensammelwut seiner Geheimdienste ein. Für das deutsch-amerikanische Geschichtsbuch wird dies nicht reichen.

 

Barack Obama weiß, dass er gerade in Berlin am umjubelten Kandidaten des Jahres 2008 gemessen wird. Nun gilt er als der Friedensnobelpreisträger, der auf Guantánamo weiter Gefangene quält. Er ist der Big Brother aus Washington, der die US-Datenkrake päppelt, oder der Mann, der es im Nahen Osten nicht schafft, die von ihm einst eloquent beschworene Versöhnung voranzubringen. Doch bei aller Kritik lohnt es sich, die Perspektive einmal umzukehren. Welches Bild von Deutschland hat denn der US-Präsident im Gepäck?

Deutschland ist nur ein Partner unter vielen

Das Urteil der amerikanischen Öffentlichkeit über Deutschland ist laut allen Umfragen auf eine für uns beschämende Weise positiv. Deutsche Wirtschaft, deutsche Autos und Fußballer, ja selbst die wenig charismatische Kanzlerin stehen für ein starkes Land, das keine Probleme macht. Das ist ein Pfund, dessen sich die Deutschen oft nicht bewusst sind, wenn sie über die arrogante Supermacht granteln. Für Obama ist ein Auftritt vor dem Brandenburger Tor eine seiner leichteren Übungen. Das deutsche Publikum, amerikafixiert, wie es ist, interpretiert die daraus folgende Lässigkeit zu schnell als Desinteresse. Warum hat Obama, der zum großen Aufritt sogar das Jackett ablegte, bis zur zweiten Amtszeit mit einem Besuch in Berlin gewartet? Die nüchterne Antwort: Weil Deutschland für die Amerikaner zwar ökonomisch wichtig, aber politisch nur ein Partner unter vielen ist.

Obama sei ein in Richtung Pazifik blickender Präsident, dieser Satz ist in jeder Analyse des deutsch-amerikanischen Verhältnisses inzwischen ein Allgemeinplatz. Doch die Tatsache, dass Deutschland öfter als früher am Rand steht, hat auch mit einer Politik zu tun, die aus der Sicht Washingtons die große Verantwortung scheut. Die Deutschen wollen den Euro retten. Aber wo ist ihre Vision für Europa? Bei der gemeinsamen Verantwortung für die Schulden hört das offenbar auf. In der Libyen-Krise haben die USA schmerzlich erfahren, dass Deutschland fast sieben Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg an der Seitenlinie blieb.

Die Selbstkritik fehlt in Deutschland

In Syrien ist es nicht viel anders. Wenn es um Russland oder China geht, sind Deutschland im Zweifelsfall die Exportmärkte wichtiger als die Frage, ob man mit den USA an einem Strang zieht. Auch beim jüngsten Datenskandal, der eine Welle gegen die USA gerichteter Empörung ausgelöst hat, sieht die Welt von jenseits des Atlantiks aus betrachtet anders aus. Washington erlebt deutsche Geheimdienstler und Innenminister, die bei der Besichtigung der Cyber-Abwehrzentren der USA leuchtende Augen bekommen und regelmäßig Informationen zur Abwehr von Terroristen nützen – aber die selten nachfragen, wie dieses Wissen zu Stande kommt.

Im Chor der Ernüchterung über Obama fehlt oft eine Prise Selbstkritik. Ist er wirklich daran schuld, dass ihm blauäugige Europäer viel zu früh den Nobelpreis verliehen haben? Weniger Obama-Blues und Nostalgie, dafür das Eingeständnis, dass Deutschland für seine weltpolitische Rolle selbst verantwortlich ist, das wäre der beste und ehrlichste Beitrag der Bundesrepublik für das deutsch-amerikanische Verhältnis.