Die Debatte zeigt, dass sich das Verständnis von Intimsphäre wandeln muss, findet der StZ-Redakteur Michael Maurer.

Stuttgart - Immer diese Deutschen mit ihrem Misstrauen und ihrem Datenschutz! Womöglich denkt sich dies der Internetkonzern Google im Moment angesichts der Diskussionen über seinen Dienst Street View. In 23 Ländern weltweit, darunter 12 europäischen, läuft er bereits, nur im 24., in Deutschland, gibt es Probleme. Und dies, obwohl Google einen 13-Punkte-Katalog der Datenschützer erfüllt hat und den Bürgern das Recht einräumt, ihre Häuser auf Wunsch unkenntlich machen zu lassen.

Trotzdem wird heftig darüber debattiert, ob die Privatsphäre ausreichend geschützt ist. An dem berechtigten Misstrauen ist die Datenkrake Google beileibe nicht unschuldig. Sie fällt durch vieles auf, aber nicht durch einen sensiblen Umgang mit Daten.

Der Kern der Auseinandersetzung liegt jedoch tiefer. Unter dem Schutz der Privatsphäre versteht jeder Bewohner der modernen digitalen Welt etwas anderes. Und speziell der deutschen Gesellschaft scheint es schwerer zu fallen als anderen, sich mit dieser Welt zu arrangieren, die auf Offenheit, Kommunikation und weltweite Vernetzung angelegt ist.

Bei manchen drückt sich dies in einer puren Verweigerungshaltung aus, die geradezu stolz vor sich hergetragen wird. Andere, die sich der digitalen Herausforderung stellen, handeln widersprüchlich. Jede Woche rufen Hunderttausende deutscher Google-Nutzer Fotos aus den USA, Frankreich oder Italien auf. Aber der Tourist aus Paris soll keine Bilder aus Stuttgart sehen dürfen. Im Übrigen kann man sich Stuttgarter Häuser und Straßenzüge zuhauf im Netz anschauen, eben bei anderen Anbietern. Die evangelische Kirche fordert den Schutz der Privatsphäre, gesteht aber ein, sie habe ein Interesse daran, dass ihre Kirchengebäude bei Street View "als öffentliche Einrichtungen zu sehen sind".

Von Google wird zu Recht verlangt, den Schutz der Persönlichkeitsrechte zu garantieren. Umgekehrt gibt der Einzelne diese Rechte auf seiner Homepage, bei Facebook oder diversen Kundenkarten mehr oder weniger bedenkenlos preis. Den empörten Bürger, der in der "Tagesschau" Widerspruch gegen die Abbildung seines Hauses bei Google ankündigte, wies die Netzgemeinde darauf hin, dass er via "Tagesschau"-Website zur öffentlichen Person geworden war, dass seine E-Mail-Adresse im Bild zu sehen war und mit ein wenig "googeln" Beruf, Adresse und private Bilder gefunden wurden. So viel zur Privatsphäre im Internetzeitalter.