Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zeigt, dass sich ein Rechtsstaat nicht anmaßen darf, bestimmte Lebensmodelle zu privilegieren. Und das ist gut so, kommentiert der Berliner Büroleiter der StZ, Armin Käfer.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Wir haben einen schwulen Außenminister, einen Bundespräsidenten, der in wilder Ehe lebt. Und in der Hauptstadt regiert vielleicht bald jemand, der ausländische Wurzeln hat. So modern und liberal wie es scheint sind die realen Verhältnisse in Deutschland aber gar nicht. Sonst hätte sich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts am Donnerstag zur steuerlichen Gleichstellung homosexueller Paare erübrigt. Immerhin ist festzuhalten: die Liberalisierung der Lebensverhältnisse schreitet voran, mit höchstrichterlichem Segen. Und das ist gut so – um ein einschlägiges Zitat zu bemühen.

 

Welchen Modernisierungsschub wir in dieser Hinsicht binnen kurzer Zeit durchlebt haben, lehrt ein Rückblick in eine noch gar nicht allzu weit zurückliegende Vergangenheit: Vor zwanzig Jahren war Sex unter Männern noch strafbar, sofern die Beteiligten nicht wenigstens volljährig waren. Der vorsintflutliche Paragraf 175 wurde tatsächlich erst 1994 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Inzwischen sind die damals noch kriminalisierten Varianten zwischenmenschlicher Beziehungen weitgehend akzeptiert. Sie werden zumindest nicht mehr skandalisiert – auch wenn es noch eine Volkspartei wie die CSU gibt, die in diesem Zusammenhang von „schrillen Minderheiten“ spricht.

Aufstand allenfalls im Saale

Wie präsent vormodernes Denken mitten in Europa ist, ließ sich unlängst in Frankreich beobachten. Ausgerechnet im Mutterland der Menschenrechte und der sexuellen Freizügigkeit fühlten sich Hunderttausende animiert, gegen die Einführung der Homo-Ehe auf die Straße zu ziehen. Dabei hätten die Franzosen wahrhaftig andere Gründe, sich Sorgen zu machen. In Deutschland sind solche Aufstände der vermeintlich Anständigeren glücklicherweise nicht zu erwarten. Sie finden allenfalls im Saale statt, etwa wenn heute die Unionsfraktion beratschlagt, wie sie mit der neuen Rechtslage umgeht.

Trotzdem ist es blamabel, dass sich der Gesetzgeber wieder einmal zwingen lassen muss, den Weg, den die Verfassung mit dem Gleichheitsprinzip vorgibt, konsequent bis zum Ende zu gehen. Die C-Parteien hätten sich dies ersparen können, zumal sich lange abgezeichnet hat, wie die Karlsruher Richter entscheiden würden. Sie haben klargestellt, dass unser Grundgesetz keine ideologisch motivierte Differenzierung zwischen solchen und solchen Familien duldet. Das Steuersplitting ist kein Eheprivileg. Es belohnt ganz allgemein, wenn zwei Menschen verbindlich füreinander Verantwortung übernehmen. Der besondere Schutz von Ehe und Familie, von dem in Artikel 6 die Rede ist, rechtfertigt keine Diskriminierung durch die Finanzämter. Ein liberaler Rechtsstaat darf sich nicht anmaßen, einzelne Lebensmodelle juristisch oder finanziell zu begünstigen.

Das eigene Weltbild anpassen

Damit wurde die vorletzte Bastion im Weltbild mancher geschleift, die sich für konservativ halten. Einer kompletten Gleichstellung homosexueller Partner mit klassischen Ehepaaren steht nun lediglich noch das Adoptionsrecht entgegen. Doch was ist eigentlich konservativ an der Überzeugung, Heteropaare seien prinzipiell die besseren Eltern? Wenn schwule oder lesbische Partner einen Bund fürs Leben eingehen, so ist das nicht weniger konservativ, als wenn Mann und Frau sich dazu entschließen. Leider gibt es zu wenige Konservative, die wie Wolfgang Schäuble so klug sind zu begreifen, dass Grundüberzeugungen nicht verwechselt werden sollten mit starren Denkschablonen. Konservative Tugenden wie Beständigkeit, Verbindlichkeit, füreinander einstehen werden nur dann Bestand haben, wenn sie sich ins 21. Jahrhundert übersetzen lassen.

Die Union wäre klug beraten, keine verlorenen Schlachten schlagen zu wollen. Das Signal aus Karlsruhe bietet Anlass, das eigene Weltbild und das Steuerrecht dem Geist der Verfassung anzupassen.