Der Bürgerkrieg im Irak eskaliert. Militante Islamisten sind auf dem Vormarsch, Tausende von Menschen fliehen. Diese Entwicklung ist eine Bankrotterklärung des Premierministers Nuri al-Maliki, kommentiert der StZ-Redakteur Knut Krohn.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Stuttgart - Was im Irak geschieht, ist eine Katastrophe mit vielen Facetten. Es ist eine Tragödie für die Menschen, die zu Zehntausenden aus jenen Städten fliehen, die von den islamistischen Isis-Kriegern besetzt worden sind. Die Iraker haben nicht nur Angst vor den Kämpfern, sondern auch vor dem Terrorregime, das im Namen Gottes die Menschen zu Freiwild macht. Die Entwicklung ist auch die Bankrotterklärung des Premiers Nuri al-Maliki. Der hat es in den acht Jahren seiner Herrschaft nicht geschafft, das Land auch nur im Ansatz zu einen. Im Gegenteil: sein Ziel war, den eigenen schiitischen Clan an der Macht und die Sunniten von den Fleischtöpfen fernzuhalten.

 

Ein Desaster ist die Situation auch für die USA. Sie haben den Krieg im Irak mit fadenscheinigen Argumenten vom Zaun gebrochen, was ihnen die arabische Welt nie vergessen wird. Washington hat dann aberwitzige Summen für den Feldzug gegen den Diktator Saddam Hussein ausgegeben und danach noch einmal Milliarden in den Wiederaufbau des Landes gesteckt. Zum Dank dafür hat Premierminister Nuri al-Maliki die US-Soldaten Ende 2011 zu einem schmachvollen Totalabzug gezwungen.

Eine Bedrohung für den Nato-Partner Türkei

Den Europäern darf die Entwicklung ebenfalls nicht egal sein, ist sie doch eine unmittelbare Bedrohung für den Frieden auf unserem Kontinent. Der taumelnde Irak grenzt direkt an den Nato-Partner Türkei. Zudem droht eine Terrorwelle, da die sunnitischen Gotteskrieger von Isis in die Fußstapfen von Al-Kaida zu treten drohen. Der Anschlag mit drei Toten im Jüdischen Museum in Brüssel wurde von einem Isis-Mitglied verübt.

Unverständlich ist, dass die Welt nicht früher auf die Situation im Irak aufmerksam geworden ist. Schon im Jahr 2010 hätte der Westen aufhorchen müssen. Damals hatte die gemeinsame Liste der irakischen Sunniten die Parlamentswahl gewonnen. Die schiitischen Parteien verhinderten aber, dass die Sunniten den Ministerpräsidenten stellen. Spätestens als dann die radikalen Isis-Kämpfer zu Beginn dieses Jahres Teile der irakischen Provinz Anbar und die Stadt Falludscha besetzten, hätte der Druck auf den Schiiten Maliki erhöht werden müssen, der klar erkennbaren Gefahr gezielt gegenzusteuern. Maliki aber war damit beschäftigt, seine mehr als umstrittene Wiederwahl als Premierminister zu sichern – und damit den Zorn der sunnitischen Iraker noch mehr anzuheizen. So konnte der Al-Kaida-Ableger Isis im Norden des Landes ein System zur Finanzierung der eigenen Truppen aufbauen, das auf dem Eintreiben von einer Art Steuern, Schutzgeldern und Spenden basiert.

Lösung aus dem Kurdengebiet?

Offensichtlich ist, dass der Premier keinen Plan hat, der Bedrohung zu begegnen. Seine Aufforderung an alle Iraker, zu den Waffen zu greifen, um das Land zu verteidigen, dokumentiert allenfalls seine Hilflosigkeit. Die Bildung von Milizen wäre ein Rückfall in die Zeiten des drohenden Bürgerkrieges. Unwahrscheinlich ist auch ein massiver Einmarsch von US-Truppen. Das heißt: der Irak muss sich selbst helfen – natürlich mit Unterstützung aus dem Westen.

Die Lösung könnte aus dem irakischen Kurdengebiet kommen. Die autonom verwaltete und gut funktionierende Region hat ein großes Interesse an einem stabilen Irak. Dementsprechend motiviert sind die gut ausgebildeten Soldaten, die Dschihadisten zurückzuschlagen. Die Kurden würden sich diese Hilfe allerdings teuer bezahlen lassen. Noch mehr Autonomie und einen größere Brocken an den sprudelnden Öleinnahmen dürfte der geringste Preis sein. Für Nuri al-Maliki könnte das allerdings das politische Ende bedeuten. Um dem Irak die Chance auf einen Neuanfang zu geben, müsste der Premier abtreten. Nur mit einer gerechteren Verteilung der Macht und der Öleinnahmen hat der Irak eine Zukunft. Doch dafür ist Nuri al-Maliki der falsche Mann.