Papst Benedikt XVI. betritt während seines Besuches in Deutschland ein schwieriges Terrain. Er kann durch seine Reise im Grunde nur gewinnen.

Familie, Bildung, Soziales : Michael Trauthig (rau)

Berlin - Darf man den Besuch Benedikts XVI. - wie es im Vorfeld geschieht - historisch nennen und zum Jahrhundertereignis stilisieren? Reicht dafür schon aus, dass es manche Programmpunkte der Visite noch nie gegeben hat: eine Rede des Pontifex im Bundestag, ein Zusammentreffen mit Protestanten an einem symbolträchtigen Ort?

 

Oder verlangt ein derartiges Urteil nicht vielmehr Ereignisse, die grundlegende Neuerungen bringen und einen weit reichenden Wandel auslösen? Beides ist vorerst nicht zu erwarten. Die erste "offizielle Staatsvisite" des Kirchenoberhaupts ist schließlich keine Bischofssynode und kein Konzil, auf dem Beschlüsse gefällt werden. Vielmehr geht es um schöne, möglichst ergreifende Worte, beeindruckende Bilder und wichtige Gesten.

Zweifel und Skepsis, Desinteresse und Protest begleiten den Papst. Dennoch oder gerade, weil sein Ansehen gelitten hat, ist die Reise für Benedikt eine Chance und wird aus der Perspektive des Vatikan wohl ein Erfolg werden. Da ist einmal die oft mit einer Prise Nationalstolz auf "unseren" Papst gewürzte mediale Aufmerksamkeit, die der Kirche eine fulminante Gelegenheit zur Selbstdarstellung gibt.

17 Reden in vier Tagen

Zehntausende werden Benedikt XVI. empfangen. Deutlich weniger zwar als bei seiner Bayernvisite 2006, aber immer noch genug für anrührende Szenen, die via Fernsehen in die Wohnzimmer kommen. Die Menschen sehen einen sich altersmild gebenden, nett lächelnden Senior. Gegendemonstranten, die zur Routine solcher Reisen gehören, müssen da trotz ihrer guten Gründe unpassend erscheinen.

Sie haben gegen die Charmeoffensive des Professorenpapstes voraussichtlich keine Chance. So dürfte Benedikt einen Teil der Zuneigung zurückgewinnen, die er zuletzt durch seine dogmatische Unbeweglichkeit, seinen moralischen Anachronismus sowie seine Annäherung an die Ultrakonservativen verspielt hat.

Noch dazu gebührt ihm Respekt dafür, wie er sich der Sache des Glaubens verschreibt. In vier Tagen 17 Reden zu halten, fünf große Messen zu feiern und viele Gespräche zu führen: das zeugt von hohem Pflichtbewusstsein und ist eine beachtliche Leistung für einen 84-Jährigen. Ängstlich oder schadenfroh - je nach Standpunkt - mag man sich zwar fragen, ob der Pontifex bei seinen Ansprachen diesmal unfallfrei über die Runden kommt.

Die Katholiken ersehnen Reformen

Doch zeigt die jüngste Erfahrung auch hier: der zunächst in diplomatischen Dingen ungeübte Papst und sein Apparat haben ein Gespür dafür entwickelt, was ein Pontifex sagt und in welche Situationen er hineinspricht. Bei seinen letzten Reisen etwa nach England gelang es ihm, eine unfreundliche Stimmung zu drehen. Ein ähnlich werbender Ton, der Verzicht auf Provokationen und anschließender Beifall sind nun auch für die umstrittene Rede im Parlament zu erwarten.

In der medial vermittelten Wirklichkeit reicht all dies völlig aus. Pathos und Sentimentalität rücken während eines verlängerten Wochenendes so den Stillstand in der Ökumene und die Verkrustungen der römisch-katholischen Kirche in den Hintergrund. Wenn sich der Papsttrubel hernach legt, holt die Gemeinden der graue Alltag aber wieder ein - mit Priestermangel, leerer werdenden Kirchenbänken und knappen Finanzen.

Studien haben gezeigt, dass weder Papstreisen noch Katholiken- oder Weltjugendtage nachhaltig die Realität an der Basis verändern. Die meisten Katholiken ersehnen jedoch Veränderungen. Sie wollen das Zölibat lockern, das Priesteramt für Frauen öffnen und das Abendmahl auch offiziell mit ihren evangelischen Glaubensgenossen feiern. Solche Reformen könnten die Kluft zwischen Kirchenlehre und Lebenspraxis der Christen schließen, die Glaubwürdigkeit stärken und die Zukunftsfähigkeit der Kirche erhöhen. Doch unter Benedikt wird sich hier kaum etwas tun. Daran ändern auch die Inszenierungen der nächsten Tage nichts.