Im November wird in den USA gewählt. Der Wahlkampf macht verdeutlicht: Demokraten und Republikaner trennt ein tiefer ideologischer Graben, sagt StZ-Mitarbeiter Frank Herrmann.

Washington - Im Gegensatz zur Situation vor vier Jahren stehen die Wiedervereinigten Staaten von Amerika diesmal nicht zur Debatte. 2008 hatte der sehnliche Wunsch, die Schluchten der Politik mit Hilfe eines weitgehend unbekannten, ergo unbelasteten Brückenbauers zu überwinden, den Senkrechtstarter Barack Obama ins Weiße Haus einziehen lassen. Einen Pragmatiker, der mit brillanter Rhetorik die große Aussöhnung versprach, ohne sich allzu lange bei kniffligen Details aufzuhalten.

 

Beinhartes Duell der beiden Kandidaten

Den idealistischen, bisweilen blauäugigen Parolen des Jahres 2008 folgt heute ein beinhartes Duell, bei dem keiner der Akteure mehr vom nationalen Brückenschlag spricht, dafür umso mehr von ideologischen Gräben. Während die Demokraten den Sinn staatlicher Investitionen und die Notwendigkeit sozialer Netze beschwören, setzen die Republikaner konsequent auf niedrigere Staatsausgaben und niedrigere Steuern. Wenn man so will, ist es der ehrlichste Wahlkampf seit Jahrzehnten, geprägt durch wohltuende Klarheit.

Es bedurfte eines Paul Ryan, um die Kontraste deutlich zu machen. Der Kandidat der Republikaner, Mitt Romney, ist ein Mann der Mitte. Jedenfalls war er das als Gouverneur des liberalen Massachusetts, wo er eine lokale Gesundheitsreform in Angriff nahm, die zum Original für Obamas landesweite Kopie wurde. Erst Ryan, ein robuster Sanierer mit jungenhaft-dynamischer Ausstrahlung, hat dem schwammigen Profil des Kandidaten Romney Konturen verliehen. Nun geht es nicht mehr nur um die Frage, wer der bessere Manager für America Incorporated wäre, sondern um das Selbstverständnis einer Nation.

Die Wähler sind wegen der Verschuldung verunsichert

Wie sollen die USA aus dem Tal der Selbstzweifel herausklettern? Geleitet von einer aktiven Regierung? Oder durch den Kraftakt jenes kantigen Individualismus, wie er seit jeher zur amerikanischen Saga gehört? Dass ein Mann wie Ryan überhaupt im Rampenlicht steht, liegt an der tiefen Verunsicherung, die viele Wähler empfinden, speziell mit Blick auf die Staatsverschuldung. Sie wächst in rasantem Tempo, pro Jahr um rund eine Billion Dollar. Obamas Strategen mögen noch so oft auf John Maynard Keynes‘ alte Lehre verweisen, wonach der Staat in der Krise Geld ausgeben und hohe Defizite in Kauf nehmen muss, um den Wirtschaftsmotor anzukurbeln. Namhafte Ökonomen applaudieren, doch der Wähler bleibt skeptisch.

Bis weit in die Mitte der Gesellschaft grassiert die Angst, man könnte über kurz oder lang ein zweites Griechenland werden, angewiesen auf die Gnade der Chinesen, die in großem Stil amerikanische Staatsanleihen kaufen. Obama hat diese Alarmstimmung lange unterschätzt. Bei der Kongresswahl 2010 war es die Tea Party, die davon profitierte. Nun ist es Ryan, ein Politiker, der wie niemand sonst für die Furcht vor einem finanziellen Armageddon steht, das es um jeden Preis abzuwenden gilt – und sei es mit der Brechstange drastischer sozialer Einschnitte.

Selbst Republikaner zweifeln an Romneys Vorschlägen

Nur: selbst Republikaner alter Schule zweifeln an dem, was Ryan und mit ihm Romney vorschlagen. David Stockman etwa, einst der Budgetdirektor Ronald Reagans, beklagt eine akute Schieflage, wenn man vornehmlich auf Kosten von Schwachen und Kranken zu sparen gedenkt. „Den Staat schrumpfen zu lassen und dafür den obersten zwei Prozent Steuersenkungen zu geben wird in keiner Weise dazu beitragen, den wirtschaftlichen Niedergang der Nation umzukehren“, warnt Stockman. Wohlgemerkt, dies sagt der Haushaltsexperte eines Präsidenten, den die Republikaner wie einen Säulenheiligen verehren. Auch George W. Bush war unter der Flagge des „compassionate conservatism“ ins Rennen gegangen und hatte viel von Mitgefühl gesprochen. Das ist passé. Die kalte Rhetorik des Duos Romney/Ryan lässt die Amerikaner nun eher an 1912 denken als an 2012. An den Wahlurnen kann sich dies rächen.