Wenn Stuttgart seine Attraktivität als Wohnort für alle Menschen behalten will, muss sich die Wohnungsbaupolitik ändern. Die Stadt braucht eine neue Vision von Urbanität, fordert der StZ-Redakteur Sven Hahn.

Stuttgart - Manche Sätze sind zu heikel, um laut ausgesprochen zu werden. Dieser zum Beispiel: „Wer kein Geld hat, gehört nicht in die Stadt.“ Trotz der Bosheit, die aus jeder Silbe spricht, zeigt die Realität in vielen Großstädten, dass häufig nach dieser Maxime verfahren wird. Das Ergebnis ist beklagenswert: Die Gesichter dieser Städte gleichen sich immer mehr an. Denn je attraktiver ein urbaner Raum ist, desto höher sind Mieten und Immobilienpreise. Egal ob Kö, Ku’damm oder Königstraße: nur finanzstarke Marken können die hohen Preise bringen, die an den Einkaufsmeilen verlangt werden. Kleine, inhabergeführte Betriebe strampeln sich hingegen chancenlos ab und verschwinden schließlich.

 

Was für den Handel gilt, lässt sich längst auch auf den Wohnungsmarkt übertragen: Wer weniger Geld hat, muss dort wohnen, wo die Mieten günstiger sind. Würde der freie Markt jedoch komplett sich selbst überlassen, wäre das Ergebnis fatal. Ausschließlich Bestverdiener residierten dann noch in der Innenstadt. Normalbürger mit kleinen und mittleren Einkommen gerieten nicht nur räumlich an den Rand. Das träfe besonders Berufseinsteiger, Rentner und Familien.

Stuttgart braucht mehr geförderten Wohnraum

Dass Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn das Megathema Wohnen zur Chefsache deklariert, ist daher nur folgerichtig. Und tatsächlich weisen seine Ideen in die richtige Richtung. Natürlich braucht die Stadt mehr geförderten Wohnraum in der City, selbstverständlich sollen Quartiere sozial durchmischt sein, und völlig zurecht fragt Kuhn sich, warum heute fast jeder Bürger deutlich mehr Quadratmeter für sich beansprucht als früher.

Der erste grüne Rathauschef der Stadt stellt sich an dieser Stelle allerdings lediglich der Realität; eine Vision formuliert er nicht. Der Ist-Zustand ist schnell beschrieben. Erstens: Stuttgart ist im Kessel räumlich begrenzt. Andere Großstädte haben deutlich mehr Fläche zur Verfügung. Zweitens: die Stadt ist attraktiv, zum Leben wie zum Arbeiten. Stuttgart ist eine der wenigen Metropolen, die auch künftig mit stetigem Zuzug rechnen können und müssen. Drittens: die Region steht für große Wirtschaftskraft. Im Bundesvergleich gibt es hier überdurchschnittlich viele Menschen, die gut verdienen. Die logische Folge: der Stuttgarter Immobilienmarkt gehört deutschlandweit zu den teuersten. Fritz Kuhn will diesem Umstand begegnen, indem er beispielsweise Regeln für die Bebauung von städtischen Grundstücken aufstellt. Das ist ein sinnvoller, weil pragmatischer Schritt. Doch welche Idee von Urbanität steht hinter seiner Strategie?

Ein OB kann die Wohnungsnot nicht allein lindern

Das Wunschbild könnte so aussehen: die Stadt als Raum für alle Menschen – reiche, arme, schwarze, weiße. Denn was eine Metropole unverkennbar macht, sind nicht die uniformierten Konsumtempel, sondern die Bürger, die in ihr leben. Je verschiedener diese Bewohner sind, desto vielfältiger entfaltet sich der Charakter einer Stadt. Also profitiert eine reiche Stadt wie Stuttgart ganz besonders, wenn sie Raum für alle Schichten der Gesellschaft bietet.

Diese Vision steht allerdings im Widerspruch zur Lehre von Angebot und Nachfrage und zum aktuellen Wandel der Großstädte. Genau aus diesem Grund wird es Fritz Kuhn enorm schwer haben, seine Pläne umzusetzen. Maximale Renditen lassen sich kaum mit der Förderung von Wohnraum für den kleinen Geldbeutel in Einklang bringen. Das Problem des OB liegt darin, dass er die Wohnungsnot nicht allein lindern kann. Er ist auf Partner aus der freien Wirtschaft und deren guten Willen angewiesen. Allein mit jährlichen Gesprächen ist das nicht getan. Der OB sollte dringend eine überzeugende Vision von Urbanität formulieren, um potenzielle Partner für seine Ziele zu gewinnen. Nur wenn es ihm gelingt, schlüssig darzulegen, warum ein Investor auf mögliche Gewinne verzichten sollte, kann er Erfolg haben.