Was US-Agenten treiben, wird zur Staatsaffäre – und verdient Protest aus Deutschland. Doch Bundeskanzlerin Angela Merkel ist nicht nur Opfer, kommentiert StZ-Autor Armin Käfer.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Seit wann zählt Deutschland zur „Achse des Bösen“? Es klingt wie ein schlechter Witz: US-Geheimdienste sollen das Handy der Kanzlerin abgehört haben. Wenn sich der üble Verdacht bewahrheitet, müsste sich Angela Merkel vorkommen wie Kim Jong-un oder irgendein Talibanchef. Merkels Handy ist so etwas wie das Nervenzentrum der deutschen Regierungspolitik. Spionage gegen das Führungspersonal verbündeter Staaten wäre ein Affront, der unfreundlicher kaum sein könnte – ein geradezu feindlicher Akt unter vorgeblichen Freunden. Im konkreten Fall würde er sich ausgerechnet gegen eine Staatsfrau richten, die unter Europas Politikern stets zu den verlässlichsten Partner der USA gehörte.

 

Was steckt dahinter? Edward Snowden hat enthüllt, dass US-Geheimdienste in ihrer Sicherheitsmanie offenbar jegliches Maß verloren haben. Sie führen sich auf, als hätten sie das Ende des Kalten Kriegs verschlafen – oder heimlich einen neuen begonnen. Die Frontlinien wären dann allerdings mit den Außengrenzen der Vereinigten Staaten identisch: Amerika gegen den Rest der Welt? Ist die Kontrolle über die National Security Agency und vergleichbare Spionagebehörden völlig aus dem Ruder gelaufen? Hat sich der Spitzelapparat verselbstständigt? Oder mimt US-Präsident Obama nur den Ahnungslosen und vertuscht damit einen monströsen Fall von Wirtschaftsspionage? Mit der Abwehr terroristischer Gefahren ist die weltumspannende Datensammelwut seiner Agenten längst nicht mehr zu rechtfertigen.

Es ist höchste Zeit für schärferen Protest

Angela Merkel hat allen Grund, nun einen harten Ton anzuschlagen und ihre Kollegen in Europa zu mobilisieren. Es ist höchste Zeit dafür. Wenn sie tatsächlich in eigener Person bespitzelt wurde, dann wäre das ein beispielloser Skandal. Obamas Auftritt bei seinem Besuch in Berlin erschiene im Nachhinein wie eine Schmierenkomödie. Es sei denn, der Präsident wäre damals nicht im Bilde gewesen – eine nicht weniger beängstigende Vorstellung.

Und doch ist Merkel nicht nur Opfer in dieser üblen Geschichte. Sie hat es zugelassen, dass die Spionageaffäre verharmlost, ja geradezu geleugnet wurde. Innenminister Hans-Peter Friedrich und der Chef des Kanzleramts, Ronald Pofalla, haben dabei eine unrühmliche Rolle gespielt. Das fällt Merkel jetzt auf die Füße.

Gewiss, man muss der Kanzlerin zugutehalten, dass sie sehr wohl differenziert hat, als die Affäre aufkam. Spionage unter befreundeten Staaten nannte sie von Anfang an „indiskutabel“. Aber sie hat die Aufklärung nicht mit dem nötigen Nachdruck verfolgt. Ihre Minister ließen sich mit pauschalen Ausreden abspeisen. Nun kommt Merkel entgegen, dass die wortmächtigsten Kritiker mit ihr gerade über eine gemeinsame Regierung verhandeln. Die Aussicht auf Kabinettsposten hält manche davon ab, ihr Versäumnisse vorzuhalten.

Eine Entschuldigung Obamas ist das Mindeste

Was nun? Der Außenminister hat den US-Botschafter einbestellt, was bisher nie vorgekommen ist. Auf der diplomatischen Eskalationsskala ist das eine harsche Reaktion, eigentlich vorbehalten für Schurkenstaaten. Eine Entschuldigung Obamas wäre das Mindeste, was Merkel erwarten darf. Die Affäre offenbart auch ihre Ohnmacht: Natürlich ist Deutschland weiter auf funktionierende Beziehungen zu den Vereinigten Staaten angewiesen – auch auf eine enge Zusammenarbeit der Geheimdienste. Merkel kann auf ein Antispionage-Abkommen pochen. Sie kann damit drohen, die Verhandlungen über einen transatlantischen Wirtschaftspakt zu verzögern. Aber ein wirkliches Druckmittel hat sie nicht.

Es stellt sich die Frage, wie lange es noch dauert, bis im Mutterland der bürgerlichen Freiheiten die Einsicht heranreift, dass diese Art von Sicherheitspolitik das eigene Wertefundament untergräbt. Bisher ist dieser Erkenntnisprozess leider noch nicht weit vorangeschritten.