Der Staat muss von seinen Bürgern gewisse Daten erheben und speichern, um sie etwa vor Terror zu schützen. Doch der Wissbegier müssen Grenzen gesetzt werden, fordert der Berliner Büroleiter der StZ, Armin Käfer.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Wäre der Anschlag von Boston zu verhindern gewesen? Hat der amerikanische Sicherheitsapparat versagt, obwohl er die Attentäter im Visier hatte? Die Geschichte des mutmaßlichen Bombenlegers Tamerlan Zarnajew erzählt vom begrenzten Wert gespeicherter Daten. Wissen allein macht einen Staat offenkundig nicht sicher. Der ältere der beiden verdächtigen Brüder war für das FBI kein Unbekannter. Russischen Geheimdiensten war er als Islamist aufgefallen. Die US-Polizei hatte einschlägige Hinweise aus Moskau durchaus ernst genommen und den Mann mehrfach überprüft. Dennoch verlor sie ihn nach seiner Rückkehr aus Dagestan aus dem Blick. Alle Informationen haben nicht geholfen, die terroristischen Absichten rechtzeitig zu erkennen. Was nützt also der Datenwust, den die Sicherheitsbehörden weltweit anhäufen?

 

Ähnliche Fragen wirft der Fall des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) auf. Indessen ist klar, dass Polizei und Verfassungsschutz keineswegs völlig ahnungslos gewesen sind, was die Umtriebe der drei Rechtsterroristen aus Zwickau angeht. Was sie wussten oder zumindest hätten wissen müssen, hätte ausreichen können, um die Mordserie zu verhindern – oder den Tätern wenigstens auf die Spur zu kommen, bevor ihnen zehn Menschen zum Opfer fielen.

Sicherheit hat einen Preis

Solche katastrophalen Befunde dürfen allerdings nicht zu einem irrigen Fazit verleiten. Das Defizit der deutschen Sicherheitsarchitektur, das die Verbrechen der Neonazibande offenbart haben, liegt nicht nur in einem Defizit an Informationen begründet. Die Fahnder wussten viel über das mörderische Trio, aber sie wussten nicht, die richtigen Schlüsse zu ziehen. Zudem waren die Informationen, die zu einer vorzeitigen Verhaftung hätten führen können, auf zu viele Akten, zu viele Schreibtische, zu viele Köpfe verteilt – und dort isoliert.

Ein Staat, in dem die rechte Hand nicht weiß, was die linke tut, kann seine Bürger nicht schützen. Ein Staat, der blind und taub ist, kann es aber ebenso wenig. Sicherheit hat einen Preis: Die Behörden, die sie gewährleisten sollen, müssen wissen, wer oder was die Sicherheit bedroht. Sie müssen die Risiken kennen. Diese Risiken tragen Namen. Es sind Menschen – und sie haben Bürgerrechte. Das prekäre Wissen, das die Bürger vor Kriminalität und Terror bewahren soll, gefährdet ihre Privatsphäre und informationelle Selbstbestimmung. Sicherheit beruht auf Informationen – auf Dateien wie jener, die das Verfassungsgericht jetzt im Grundsatz gebilligt, im Detail aber gerügt hat. Ohne Daten keine Sicherheit. Dieser Satz ist unumstößlich, aber leider nicht umkehrbar. Ein allwissender Staat wäre nicht zwangsläufig sicher – aber sicher kein Ort, wo man leben möchte.

Die Wissbegier muss Grenzen haben

Wenn es in Deutschland ein Gesetz gäbe, das es erlaubte, Verbindungsdaten der Kunden von Telefongesellschaften, Handyfirmen und Internetportalen zu speichern, dann hätte das Rätselraten über die Reichweite des Nationalsozialistischen Untergrunds wohl längst ein Ende. Solche Daten hätten die Spur zu Helfershelfern und Gesinnungsgenossen weisen und damit die Rekonstruktion des rechtsextremistischen Netzwerkes ermöglichen können. Das Verfassungsgericht hat das Speichern von Vorratsdaten unterbunden, aber keineswegs verboten. Es hat nur die Regeln verworfen, unter denen dies zunächst erlaubt war.

Im Fall der Antiterrordatei ist die Kritik aus Karlsruhe weitaus milder. Ein schärferes Urteil hätte die Sicherheitsarchitektur ins Wanken gebracht. Zumal nach dem Muster dieser Datei inzwischen auch Akteure aus dem braunen Milieu registriert sind – eine Konsequenz aus der NSU-Misere. Die Wissbegier der Sicherheitsorgane muss dort aber strikte Grenzen haben, wo keine Tatverdächtigen, sondern unbescholtene Bürger ins Visier geraten: Flugpassagiere etwa. Hier hat das Europaparlament zu Recht ein Stoppschild gesetzt.