Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen will das Beschaffungs- und Rüstungswesen der Bundeswehr neu ordnen. Der externe Prüfbericht bietet ihr ausreichend Munition. Nun muss sie bald Taten folgen lassen, meint der StZ-Redakteur Matthias Schiermeyer.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Es sieht ganz so aus, als ob nur aus dem Chaos heraus etwas Gutes für die Bundeswehr erwachsen kann. Somit erscheint es geradezu günstig, dass im Moment alles Negative zusammenkommt: Einerseits kehrt die Truppe ausgezehrt aus Afghanistan zurück, andererseits verlangen immer neue Konfliktherde eine größere Flexibilität, so dass sich Lücken bei Personal und Ausrüstung auftun. Einerseits lässt die geopolitische Lage in der Bevölkerung ein Gefühl der Unsicherheit aufkommen, andererseits zeigen sich schwerwiegende Rüstungsmängel in nie da gewesener Häufung. In dieser zugespitzten Situation hat Verteidigungsministerin von der Leyen die Chance für einen Neuanfang. Ein Scheitern ist freilich genauso denkbar.

 

Angesichts des vorliegenden Desasters liegt die Frage auf der Hand, wie es sein kann, dass niemand vom Zustand der Bundeswehr überrascht zu sein scheint – weil alle es angeblich haben kommen sehen. Jeder, der Einblick in die Bundeswehr hat, kennt das schwerfällige Beschaffungswesen und die Mangelverwaltung – es ist üblich, Geräte quasi auszuweiden, um den Rest im Betrieb zu halten. Das gilt für Geländefahrzeuge wie für Transportflieger. Auch dass die Großprojekte zum Teil um etliche Milliarden Euro teurer werden und dann auch noch mit vielen Jahren Verspätung ausgeliefert werden, ist altbekannt.

Die Vorgänger blieben Fortschritte schuldig

Da ist zunächst das Versagen der Politik: Von der Leyens Vorgänger de Maizière hat die Soldaten in Afghanistan mit dem Nötigen ausgestattet. Die Not bei den Ersatzteilen hat er nicht verbessert. Und wie die Minister vor ihm hat er es verpasst, die Strukturen zu professionalisieren. Bei allen Reformen wurden die Probleme nicht an der Wurzel gepackt. Etliche Kommissionen wurden berufen, deren Vorschläge zügig in der Schublade verschwanden. Niemand hat es vermocht, das Geflecht der aneinander vorbeiagierenden Planungsämter und wehrtechnischen Dienststellen zu entwirren, um Reibungsverluste abzubauen.

Die Rüstung funktioniert seit Jahrzehnten fast wie ein Selbstbedienungsladen. Die Abstimmung untereinander, aber auch mit den europäischen Partnern ist unzureichend. Nachbesserungswünsche verlängern die Lieferzeiten erheblich. Auf der anderen Seite steht eine Industrie, die die undurchsichtigen Entscheidungspfade ausnutzt. Nur Druck bewegt die Hersteller nachzubessern oder Regress zu leisten. Doch bereits in der Vertragsgestaltung fehlt es der Truppe an Fachkompetenz.

Kühl kalkulierte Ohrfeige für die Parteigenossen

So haben Armeeführung und Ministerialbürokratie ein System der organisierten Verantwortungslosigkeit entwickelt. Die Generäle und die Spitzenbeamten gefallen sich in ihrer Rolle, sehen die Zuständigkeit für Fehler aber stets bei anderen. Selbst finden sie kaum den Mut, Schwachstellen nach oben weiterzumelden, weil es   karriereschädlich sein könnte. Somit müsste die Ministerin den Geist einer noch immer duckmäuserischen Truppe verändern: Ihr Kurs der schonungslosen Transparenz muss im gesamten Apparat gelebt werden – obwohl es die allgemeine Verunsicherung nicht beseitigt, wenn sie mit harter Hand Führungskräfte austauscht.

Der Prüfbericht ist auch eine kühl kalkulierte Ohrfeige für die Parteigenossen de Maizière, Guttenberg & Co., bei denen von der Leyen alle Schuld ablädt, um unbelastet in die Offensive zu gehen. Das ist konsequent und legitim. Von nun an wird sie aber mit besonders strengen Maßstäben an den Resultaten gemessen, eine fortgesetzte Ankündigungspolitik würde niemand durchgehen lassen. Dazu müsste sie bald die Anregungen der externen Prüfer aufgreifen.

Viel Zeit bleibt ihr nicht. Hat von der Leyen die Courage? Mit jedem Schritt, der die Ursachen der Misswirtschaft eliminieren soll, wird sie sich neue Feinde machen. Umso mehr muss man ihr Erfolg wünschen. Wenn sie es unter dem Druck der aktuellen Misere nicht schafft – wann dann?