Die IG Metall hat eine neue Führung gewählt, Detlef Wetzel folgt auf Berthold Huber als Vorsitzender. Doch die Gewerkschaft wird es schwer haben, ihren Einfluss zu erhalten, meint der StZ-Redakteur Matthias Schiermeyer.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Frankfurt/Main - Die große Koalition hat ihre Arbeit noch nicht aufgenommen, da wird sie schon in Grund und Boden gerammt. Unmut regt sich allerorten. Ebenso wie die Wirtschaft ist die IG Metall verärgert – aus anderen Gründen, versteht sich. Die SPD hat es (noch) nicht geschafft, die Anliegen der Gewerkschaft wie erhofft durchzusetzen. Das muss sie in der Endphase des Koalitionspokers besonders antreiben. Die IG Metall hat als Speerspitze der Gewerkschaftsbewegung maßgeblichen Einfluss auf sozialdemokratische Inhalte und ist enorm wichtig für die Verankerung der SPD im Arbeitnehmerlager.

 

Dennoch ist die IG Metall keine Vorfeldorganisation der SPD. Der bisherige Vorsitzende Berthold Huber hat es vermocht, die zu Zeiten von Schröder und Müntefering beschädigten Bande zu reparieren, ohne sich auf die SPD festzulegen. Fast ebenso viele Gewerkschaftsmitglieder haben die Union gewählt. Die IG Metall ist sozusagen ein Abbild der großen Koalition. Sich ihre Unabhängigkeit von den Parteien zu bewahren und trotzdem in der Politik mitzureden, wird eine große Herausforderung bleiben. Huber war ein allseits geschätzter Kommunikator. Ob sein Nachfolger Detlef Wetzel dieselbe Gabe besitzt, ist offen.

Wetzel muss sich seine Autorität noch erarbeiten

Auch der neue Vorsitzende muss den konstruktiven Austausch mit den Regierenden suchen, sonst könnte die IG Metall an den Rand des Geschehens geraten. Die große Koalition braucht starke Partner – erst recht, wenn sich die Wirtschaft ins Abseits lamentiert. Machtvolle Worte und Wünsch-dir-was-Reden machen aber noch keinen bedeutenden Gewerkschaftsführer. Wetzel hat viele gute Ideen, um die Attraktivität der Gewerkschaft zu stärken. Doch er muss sich eine Autorität, wie Huber sie auch innerhalb der Organisation hatte, erst erarbeiten. 75 Prozent sind selbst für IG-Metall-Verhältnisse ein magerer Start. Kaum besser steht der Vize Jörg Hofmann da.

Wenn die Gewerkschaft ihr politisches Gewicht erhalten will, sind noch zwei weitere Hürden zu überwinden: Sie muss auch künftig ihre demografisch bedingten Mitgliederverluste kompensieren und wachsen. An dieser Stelle gibt Wetzel weniger Anlass zur Sorge. Der neue Chef ist als Kampagnen-Manager der IG Metall der Garant für eine betriebsorientierte Ausrichtung. Ergebnis: keine Massenorganisation in Europa verzeichnet derartige Gewinne, zumal bei jungen Mitgliedern.

Schwerer dürfte es ihm fallen, die gedeihliche Sozialpartnerschaft mit den Arbeitgebern fortzuschreiben. Unabhängig vom üblichen Kampfgetöse in den Tarifrunden könnte der Umgangston aggressiver werden als in den vergangenen Jahren. Enge Freunde dürften Wetzel und sein Pendant bei Gesamtmetall, Rainer Dulger, wohl nicht werden. Dass die IG Metall wenigstens lohnpolitisch auf dem Pfad der Vernunft bleibt, dafür steht der pragmatische Tarifexperte Hofmann.

Die Industrie investiert kaum noch in Deutschland

Was sind die beachtlichen Gehaltssteigerungen der vergangenen Jahre wert? Die Industrie verlagert immer mehr Bereiche ins Ausland und investiert kaum noch in Deutschland. Mit Werkverträgen und Leiharbeit hebeln die Unternehmen bestehende Tarifstrukturen aus. Das Ausfransen der Arbeitsverhältnisse ist nicht nur eine Folge der Agenda 2010, sondern auch der Preis für das langjährige Einkommensplus bei den Kernbelegschaften. Die IG Metall hat die Folgen jeweils erst erkannt, als es zu spät war – nun ruft sie die Politik zu Hilfe.

Kernziel muss es sein, industrielle Produktion in Deutschland zu halten. Davon hängt das Wohlergehen aller ab. Derzeit lenkt die gute Konjunktur etwas von den Problemen der Industrie ab. Wie lange noch? Die IG Metall ist mitverantwortlich dafür, zukunftsweisende Lösungen für die Arbeitswelt zu erarbeiten. Dazu braucht es Mut, Kreativität und ein ehrlicher Umgang mit eigenen Fehlern. Die neue Führung wird es nicht leichter haben als die alte.