Die EU sitzt in der Zwickmühle: Sie hat in der Krimkrise kaum Möglichkeiten, Druck auf Russland auszuüben. Alle denkbaren Sanktionen würden Europas Wirtschaft schwer belasten, meint unser Autor Christopher Ziedler.

Brüssel - Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein, sagt der Volksmund. Und wer zur Ukraine-Krise überquellende Internetforen durchstöbert, bekommt den Eindruck, dass genau das passiert ist: Die EU hat mit der geplanten vertraglichen Anbindung der Ukraine an die Gemeinschaft die Lunte an ein Pulverfass gelegt, das ihr nun um die Ohren fliegt. Selbst schuld, ihr Brüsseler Kommissare – so lautet dieser Tage ein Vorwurf.

 

Die Wirklichkeit ist vielschichtiger – ganz davon zu schweigen, dass das Assoziierungsabkommen ein freiwilliges Angebot war und von allen Mitgliedstaaten mitgetragen wurde. Aber dennoch wurden gravierende Fehler gemacht. Von Beginn an behandelte die EU das Abkommen mit der Ukraine als bilaterale Angelegenheit,   Moskaus Interessen – gerade der Zugang zum Schwarzen Meer – wurden erst anerkannt, als das Kind schon im Brunnen lag. Vor allem aber drang die EU in den dramatischen Tagen nach der Unterzeichnung der „Friedensvereinbarung“ vom 21. Februar nicht entschieden genug darauf, dass die Übergangsregierung in Kiew möglichst viele Strömungen des Landes repräsentiert.

Man hat den Einfluss der Rechten unterschätzt

Der Oppositionsbewegung moralisch zur Seite zu stehen war dagegen kein Fehler. Man stelle sich nur einmal umgekehrt vor, dass die sich so gern als Wertegemeinschaft präsentierende Union keinerlei Worte der Unterstützung für die Menschen auf dem Maidan gefunden hätte. Auf einem anderen Blatt steht, dass der Einfluss hätte genutzt werden müssen, um die extremistische Kräfte dort einzudämmen. So falsch die russische Propaganda ist, dass in Kiew nun ausschließlich Neonazis am Werk sind, so falsch war es von EU-Seite, die Folgen einer Regierungsbeteiligung des Rechten Sektors und des sofortigen Abgangs von Präsident Viktor Janukowitsch zu unterschätzen. Denn damit hat Putin seinen Einfluss auf die Politik in Kiew ganz verloren – er versucht nun, ihn sich auf andere, völkerrechtswidrige Weise zu sichern.

Brüssel hat keine Daumenschrauben

Fehler der Vergangenheit zu betrauern aber nutzt nichts – es gilt, aus ihnen zu lernen und eine weitere Eskalation der Lage zu verhindern. Das aber ist extrem schwierig, denn die EU sitzt in Putins Falle.

Die Zwickmühle der Europäer ist beim Krisengipfel in Brüssel offen zu Tage getreten. Weder kann man die Ukrainer mit ihren Hoffnungen fallen lassen wie eine heiße Kartoffel, noch kann die von Moskau zwar bestrittene, aber doch offensichtliche Grenzverletzung unbeantwortet bleiben. Das schuldet die EU allein schon ihren östlichen Mitgliedern, die sich nun ebenfalls bedroht fühlen. Doch im EU-Werkzeugkasten gibt es nur wenige Daumenschrauben, die Putin angelegt werden könnten. Militärische Gegenmaßnahmen verbieten sich eigentlich von selbst, und Wirtschaftssanktionen sind ein zweischneidiges Schwert. Im Gegenzug könnten 45 Prozent der europäischen Gasversorgung gekappt und allein deutsches Investitionsvermögen in Russland in Höhe von 20 Milliarden Euro eingefroren werden – nicht das, was Europas kriselnde Wirtschaft braucht. Putin kann die Sanktionsdrohung daher relativ gelassen sehen, selbst wenn sie entschiedener ausfiel als von vielen erwartet.

In dieser Lage hat der EU-Gipfel den wohl einzigen gangbaren Weg gewählt. Eher symbolische Sanktionen wie das Aussetzen von Gesprächen über Visumerleichterungen werden sofort in Kraft gesetzt. Über weiter gehende Maßnahmen wie Kontensperrungen, Reisebeschränkungen und eben die Wirtschaftssanktionen soll erst entschieden werden, falls sich die Lage durch weitere diplomatische Bemühungen nicht entspannen lässt. Gut möglich, dass bis da aber längst Fakten geschaffen sind: Die Regionalverwaltung der Krim hat gestern die Aufnahme in die Russische Föderation beantragt und will am 16. März dazu das Volk befragen – vier Tage vor dem nächsten regulären EU-Gipfel.