Nach dem Terror muss das Leben weitergehen, sonst ergeben wir uns den Terroristen – so lautet ein gängiges Argument. Aber: Eine Pause einlegen angesichts von Anschlägen heißt noch lange nicht Resignieren, kommentiert Mirko Weber.

In einem sehr wienerischen, folglich sarkastisch schwarz grundierten Monolog erörtert der österreichische Schauspieler Josef Hader das Prinzip des „Weiter so“ – und warum es der mitteleuropäische Mensch schwer erträgt, dass dieses Prinzip negiert wird. Er beginnt mit Banalitäten. Wenn der Stau uns stoppt, gehe die Schimpferei los („Geht nix weida!“). Beziehungen, die sich nicht beständig entwickelten gleich steigenden Aktienkursen, würden aufgelöst. Bereits das Kind, so Hader, werde angehalten, auf dem Spaziergang nach der „Top-Top-Top-Blume des Tages“ zu suchen. Drunter täten wir’s nicht. Damit es weitergehe, „immer weiter“, wie das Mantra des Fußballers Oliver Kahn lautet, in Abwandlung des olympischen Mottos: citius, altius, fortius (schneller, höher, stärker).

 

Haders Extemporieren wirkt auf das Publikum, oft gut geölt funktionierende Großstädter, häufig gleich. Die Leute werden vom Redefluss mitgerissen, bis zum ersten Mal das Wort „Tod“ fällt, eine Generalpause, die Hader gekonnt setzt und umspielt. Dann wird es still, bei jeder Vorstellung. Kollektives Innehalten für einen Moment, weil nun wirklich etwas – religiöse Projektionen außer Acht gelassen – nicht mehr Steigerbares benannt ist. Das Ende. Ein Kabarettabend, wie gesagt. Kunst halt.

Weitermachen – als Zeichen der Unbeugsamkeit

Innehalten, eine seit jeher nicht ganz leicht zu vermittelnde Kulturtechnik, ist im globalisierten Leben, wo der Tag auch nachts nur schwer zur Ruhe findet, praktisch unmöglich geworden. Schließlich muss es weitergehen, auch wenn gerade eine Todesschwadron durch Paris gezogen ist und auf das Leben an sich geschossen hat: Menschen, wie sie auf unterschiedliche Art feiern, dass sie auf der Welt sind und beteiligt. Der große jüdische Verantwortungsethiker Hans Jonas hatte das „Danach“ solcher Szenen wohl mit im Sinn, als er konstatierte, die Menschheit erwache mitunter aus der „Euphorie des faustischen Traums“, der einem vorgaukelt, es sei nichts unmöglich, „ins kalte Tageslicht der Furcht“. Müsste sich, wer ähnlich fühlte, das nicht auch eingestehen dürfen?

Ein Großteil der Pariser Bevölkerung, sieht es anders. Ein „Weiter so!“, als deutliches Zeichen der Unbeugsamkeit verstanden, steht außer Frage. Paris, sagt die dort lebende, deutsche Schauspielerin Hanna Schygulla, sei „kein Terrain für Angsthasen“. Madonna, die auftritt, sieht das scheint’s genauso; Prince, der abgesagt hat, nicht. Allerdings nimmt ein stoisch sich gebender Widerstand, der Verunsicherung und ein Nachdenken darüber erst gar nicht zulassen will, weil sich alltagsbetriebsgefährdende Resignation einschleichen könnte, selbst schon wieder fast olympische Ausmaße an. Wenn die Bundesregierung ankündigt, ohne erst die Verantwortlichen beim DFB anzuhören (die in Person von Bundestrainer Joachim Löw zuvor anderer Meinung waren), man komme mit einer Ministerriege zum dann abgesagten Länderspiel in Hannover, fügt sich der eh intern verunsicherte Verband, weil er substanziell vollkommen abhängig ist von seiner wirtschaftlichen Verwertbarkeit. Das zählt. Sonst nichts.

Ein System, dass fast keine Diskussion zulässt

Kann es aber sein, dass ein System, von uns allen miteinander immer nur am Laufen gehalten, fast keine Diskussion zulässt, wenn ein paar Sinnfragen jenseits des alles regierenden Optimierungswahns auftauchen? Dass Zaudern mindestens verdächtig ist? Dass Innehalten problematisch wird, weil jenseits der Funktionstüchtigkeitsüberprüfung sich Zweifel mehren –, sagen wir nur, was deutsche Waffenexporte betrifft? Wie wollen wir, selbstbestimmt und selbstbewusst, sein? Frei, natürlich. Hans Jonas sah die Freiheit als höchstes Gut, aber er wagte auch zu verlangen, dass der Mensch, nicht der Übermensch und nicht nur der Konsument, das Ziel allen menschlichen Handelns sei. Darüber wäre vielleicht nachzudenken, bevor es weitergeht. Für einen Moment.