Kurz nach dem Match mit einem Mann trudeln die ersten Nachrichten bei mir ein. Um genau zu sein, war es ein ganzer Fragenkatalog. Was findest du gut an mir? Was machst du beruflich? Was sind deine Hobbys? Was findest du in einer Beziehung wichtig? Wollen wir uns gleich treffen? Auf meine lustig gemeinte Antwort „für alle diese Fragen brauche ich eine Woche, um zu antworten“, folgt von ihm: Unverständnis. Man müsse sich doch irgendwie kennenlernen. Und überhaupt, er müsse doch die Spannung hochhalten bis zu einem Treffen. Für mich definitiv zu viel „Spannung“.
Die Kommunikation beim Online-Dating kann für viele irritierend sein
Nächster Versuch. Neues Match. Dieser Mann schreibt sich quasi die Finger wund. Bereits nach einem Tag bombardiert er mich mit Nachrichten, selbst während der Arbeitszeit gibt er keine Ruhe. Und er stellt nach einem Tag Kontakt sofort Ansprüche: „Wann hast du endlich Zeit zu schreiben?“ oder „Warum schreibst du nicht? Schreibst du etwa mit anderen???“ Und als ich mich nach zwei Tagen nicht direkt treffen möchte, folgen von ihm: wüste Beschimpfungen. Als man darauf mit: „Vielleicht passt das nicht so zwischen uns. Ich wünsche dir aber alles Gute für deine Suche“ antwortet. Kommt nur: „Ich dir nicht! Geh weg.“
Der dritte Mann zeigt stetiges Interesse, meldet sich über Wochen jeden Tag bei mir, lädt mich bei den Dates immer ein, ist immer höflich und interessiert, nie zuviel und macht Pläne für weitere gemeinsame Treffen – und taucht dann plötzlich ab. Er habe zu viel zu arbeiten, antwortet er knapp auf Nachfrage. Danach ist er weg.
Das lässt einen irritiert zurück. Was erwarten manche, wenn sie online jemand kennen lernen? Dass ihr Gegenüber ihnen wahlweise sofort 24 Stunden am Tag zur Verfügung stehen muss? Oder umgekehrt, dass man selbst herausfindet, wann jemand kein Interesse mehr hat? Chatten ist beim Dating über Apps ein wichtiger Aspekt, weil man darüber ja erst herausfindet, ob man sich überhaupt sympathisch findet oder nicht.
Nun ist das Kommunikationsverhalten von Menschen aber sehr verschieden. Manche sind permanent am Handy, andere nutzen Messenger lediglich, um notwendige Dinge zu klären. „Es ist eine individuelle Einschätzung, wie viele Nachrichten zu viel und wie viel zu wenig sind“, sagt der Hamburger Paartherapeut Eric Hegmann. Wenn jemand schwer verliebt sei, werde es ein „zu viel“ an Kommunikation vermutlich nicht geben. „Aber ist jemand gerade beim Auswählen von mehreren Kandidaten, können viele Nachrichten schnell zu viel werden“, ergänzt er. Früh abzuklären, wie der andere tickt, kann also nicht schaden.
Häufig gilt es als bedürftig, wenn jemand ständig und viel schreibt. Oft hinterlässt dies in uns den Eindruck, als hätte der andere kein eigenes Leben. Eric Hegmann rät erst einmal selbst zu überlegen: „Ab wann nervt es, weil die andere Person bedürftig oder aufdringlich wirkt? Und das hat mit meinen eigenen persönlichen Erfahrungen und den daraus etablierten Überzeugungen zu tun.“ Das heißt konkret: Wer denkt, jemand, der fünfmal am Tag schreibt, hat diese oder jene Erwartung an mich, den anderen für zu fixiert oder verlustängstlich hält – solle diese Ansichten einmal überprüfen. „Welche Geschichte steckt dahinter? Ist das meine? Oder wurde sie mir erzählt?“, so Hegmann.
Dating ist keine Jobbewerbung
Oft liegt es aber vielleicht auch einfach daran, dass viele wenig Erfahrung mit Dating haben oder zu hohe Ansprüche an die Partnersuche haben – nämlich, dass es gleich klappen muss. „Viele sehen Dating als Bewerbung, wo wir ein attraktives Profil einstellen sollen. Das ist ein Grundfehler“, sagt der promovierte Psychologe Guido Gebauer, der sich auf Dating spezialisiert und das Buch „A perfect Match – Online-Partnersuche aus psychologischer Sicht“ geschrieben hat. Denn: „Dating ist ein ergebnisoffener Kennenlernprozess, wo wir Menschen begegnen wollen, die uns so lieben wie wir sind.“
Eine Befragung der Dating-Plattform Elite Partner unter ihren Nutzerinnen und Nutzern zeigt, dass altmodische Regeln wie sich drei Tage mit einer Antwort Zeit zu lassen, definitiv nicht mehr angebracht sind. Denn wer glaubt, seinen Date-Partner durch zu schnelle Antworten zu verschrecken, sorgt sich unbegründet. Gerade einmal 16 Prozent verlieren das Interesse, wenn jemand immer sofort antwortet. Jeder Zweite fühlt sich sogar verunsichert, wenn Antworten mehr als ein paar Stunden auf sich warten lassen: 50 Prozent der Frauen und 46 Prozent der Männer beginnen zu zweifeln, ob ihr Gegenüber wirklich Interesse hat, wenn nach einigen Stunden noch keine Antwort da ist. Es gibt allerdings einen gewissen Teil der Singles, der sich unter Druck gesetzt fühlt, wenn jemand immer sofort zurückschreibt – es sind eher Frauen (30 Prozent) als Männer (24 Prozent), die davon gestresst sind.
Gilt Omas guter alter Ratschlag „Willst du gelten, mach dich selten“ also nicht mehr? Eine Studie über Dating-Verhalten gibt der Oma zumindest recht. So haben die Forscher Forscher Gurit E. Birnbaum, Kobi Zholtack und Harry T. Reis von der University of Rochester und einer Universität im israelischen Herzliya in ihrer Studie „No Pain, no gain“ aus dem Jahr 2020 sich angeschaut, war beim Dating besser ankommt.
Dazu haben sie jeweils drei Studien durchgeführt. Ihr Ergebnis war, dass sich tatsächlich diejenigen, die sich in der Kontakt- und Flirtanbahnung eher zurückhielten, auf die anderen Testpersonen attraktiver und begehrenswerter wirkten. Laut den Forschern erwecke eine zurückhaltendere Person eher den Anschein, als hätte sie noch andere Optionen – sie ist also schon „von anderen als gut“ befunden worden. Dies schien zudem auch beim Gegenüber den Ehrgeiz zu wecken – weshalb sie den anderen stärker umworben haben.
Ein Kennenlernen ist ja immer erst einmal ergebnisoffen
Gebauer betont hingegen, die Erwartung an die Kennenlernphase sollte sein, gemeinsam miteinander in einem ergebnisoffenen Prozess auszuloten, ob eine Passung tatsächlich für eine glückliche Beziehung miteinander besteht. „Niemand sollte Angst vor dem Ergebnis haben, im Gegenteil. Jedes Ergebnis ist ein gutes Ergebnis.“ Denn es könne sowohl die Erkenntnis entstehen, dass es eben nicht funktioniere als auch die, dass es passt und ein Beziehungsglück beginne.
Wer online datet, ist oft aber auch mit anderen Dingen konfrontiert. Was, wenn sich ein Kontakt doch nicht so als das perfekte Match outet? Wie beendet man den Kontakt möglichst respektvoll wieder? „Eine Notlüge, wie man habe in den nächsten Wochen keine Zeit, kann das Gegenüber dazu verleiten, sich falsche Hoffnungen zu machen“, gibt Eric Hegmann zu bedenken. Das verlängere möglicherweise nur dessen Kontaktversuche – und bei einem selbst ein unangenehmes Gefühl. „Es kann eine Option sein, die Hürde der klaren Zurückweisung zu überschreiten, trotz des eigenen Impulses dies nicht zu tun – aber danach fühlt man sich wieder gelöster und freier“, sagt der Paartherapeut. Damit habe man bei seinem Gegenüber aber vermutlich die leidvolle Zeit der Unsicherheit verkürzt. Hegmann rät zudem: „Gestalten Sie die Absage so, wie Sie sich diese selbst im umgekehrten Fall wünschen würden.“
Leider tun dies aber viele nicht. Das für viele am unangenehmste am Online-Dating ist sicherlich Ghosting. Also wenn die andere Person einfach ohne eine Erklärung abtaucht und nicht mehr erreichbar ist. Hegmann hat im vergangenen Jahr für die Dating-Plattform Parship eine Umfrage begleitet. Demnach wurde zu jedem dritten Befragten zwischen 18 und 29 Jahren schon einmal der Kontakt plötzlich abgebrochen. „Einige von diesen Betroffenen erleben einen solch großen Vertrauensverlust durch diese Erfahrung, dass sie ohne Unterstützung nicht mehr offen Partnersuche erleben können“, sagt Hegmann.
Unter Ghosting leiden viele dauerhaft
Wenn es nicht gelinge aus der Überflutung von negativen Gefühlen herauszukommen, nachdem ein Kontakt plötzlich abgetaucht ist, sei eine Unterstützung von außen sinnvoll. „Gerade Liebeskummer wegen eines plötzlichen Kontaktabbruchs ohne Erklärung kann durchaus je nach persönlichen Prägung und früheren Verletzungen zu einer Anpassungsstörung führen, die mit einer depressiven Episode einhergehen kann“, so Hegmann.
Überwinden lasse sich dies aber nur mit Mut und Vertrauen in sich selbst, nicht mit einem Teufelskreis aus Angst und Vorsicht – oder der ständigen Suche nach Fehlern bei anderen, Red Flags nennen das inzwischen viele. Hegmann rät daher ebenfalls weg von „Ich bewerbe mich“-Gedanken, die nicht auf Augenhöhe sind, zu einem: „Erzähl mir mehr über dich und was dich bewegt und umtreibt.“
Letztlich geht es also beim Online-Dating vor allem auch darum, sich selbst gut zu kennen, alte Verletzungen zu klären – und sich immer wieder bewusst zu machen, wie man selbst behandelt werden möchte. Und sich genauso auch seinem Match gegenüber zu verhalten.
Und letztlich finde ich auch Männer, die eben genauso denken. Die viel schreiben, aber nicht nerven. Die Abwarten, wann die richtige Zeit ist, sich zu treffen – und die offen und ehrlich kommunizieren, was sie wollen und was nicht...