Konzert Helene Fischer in Stuttgart Alles wie früher und doch ganz neu

Helene Fischer in Stuttgart Foto: Lichtgut/Leif Piechowski/Leif Piechowski

Zum Auftakt ihrer fünf Stuttgarter Konzerte gibt Helene Fischer ihren Fans das beruhigende Gefühl, seit ihrem letzten Besuch habe sich nichts geändert. Um dann zum Abschluss doch noch weit in die Zukunft zu schauen.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Wenn wir es hier kurz machen wollten, könnten wir einfach schreiben: Sie bleibt sich treu. Ihre aktuelle Tourneeshow macht genau da weiter, wo und wie sie zuletzt 2018 und davor 2015 in den großen Hallen und Stadien dieser Republik unterwegs war. Sie singt und tanzt und springt und lacht. Sie treibt zwischendurch mit Akrobaten unglaubliche Artistik und singt und lacht dann auch kopfüber oder elegant schwingend oder rasend schnell sich drehend. Sie singt ihre Hits aus rund 15 Bühnenjahren, und ihre Fans singen mit und tanzen dazu. Sie bleibt sich einfach treu. Und warum bleibt sie sich treu? Weil sie es kann.

 

Dabei könnte man es belassen und hätte zumindest die erste Hälfte des über dreistündigen Konzertes gut zusammengefasst; ergänzt vielleicht mit einer kritischen Bemerkung über die inzwischen wirklich gräulich in die Jahre gekommene Akustik der Schleyerhalle, die selbst große Nummern wie „Null auf 100“ oder „Herzbeben“ vor allem laut, schallig und rummelplatzig klingen lässt und auch der großen Ballade „Never Enough“ aus dem Filmmusical „The Greatest Showman“ fast jeden Charme nimmt. Und natürlich müsste man die Abschlussnummer vor der Pause erwähnen, wenn Helene Fischer ihren ersten selbst komponierten Titel „Hand in Hand“ singt und dabei mit ihrem Lebenspartner Thomas Seitel eine wirklich berührende Trapeznummer darbietet.

Bei „Luftballon“ wird es ganz still

Knapp neunzig Minuten sind dann um, und andere Künstler würden sich an dieser Stelle fröhlich vom Hallenpublikum in ihre Hotelsuite verabschieden. Aber die Fischer verschnauft an dieser Stelle nur ein wenig – für den zweiten und nun wirklich auch dramaturgisch überragenden Teil dieses Konzertabends. Kommen wir also zu den Details.

Alles beginnt auf einer kleinen Bühne, die inzwischen in der Mitte der Halle steht; hier sammelt Fischer die Musiker ihrer Band um sich, der eine hat eine Gitarre in der Hand, ein anderer ein Akkordeon. Und dann gibt sie ein Medley ihrer frühen Erfolge, ihrer Schlager-Schlager zum Besten, „Mitten im Paradies“ und auch „Mit dem Wind“, und es ist ein bisschen wie in einem kleinen freundlichen Singkreis, in dem man sich nostalgisch schöner früherer Zeiten erinnert – und um den Singkreis herum stehen Tausende von Zuschauern und singen jede Zeile mit. So souverän spannt nur selten ein Künstler den Bogen zu jenen Anfängen einer Karriere, die längst an ganz andere Orte geführt hat.

Dann greift Helene Fischer den Song „Regenbogenfarben“ ihrer Kollegin Kerstin Ott auf, diese kleine hübsche Hymne auf eine bunte, diverse Gesellschaft voller Respekt und gegenseitiger Wertschätzung. Um dann zu „Luftballon“ zu wechseln, einem Abschiedssong auf einen verstorbenen Menschen, an den man sich trauernd erinnert – das singt sie im Duett mit ihrem Bühnenmusiker Pascal Kravetz, einem Allrounder, so intensiv und berührend, dass in der riesigen Halle absolute Konzentration herrscht.

Auf Karussellfahrt wie beim Frühlingsfest

Was kann nach diesem Moment tiefster Intimität noch folgen? Genau: die entfesselte, sich von Titel zu Titel steigernde Party. „Phänomen“, „Liebe ist ein Tanz“, „Unser Tag“ – Helene Fischer zelebriert ihre Kracher mit Band, Tänzern und Akrobaten als immer doller gesteigerte Tanznummern. Bei ihrem „Megahit“ ist sie an die Spitze einer irgendwie an einen Roboterkran erinnernde Gerätschaft geschnallt und wird einige Meter hoch und hin und her und rundherum geschleudert. Das erinnert anfangs ein wenig an eine Karussellfahrt auf dem Frühlingsfest. Aber im Verlauf des Titels verschwindet die Technik aus dem Blick – was bleibt, ist eine Sängerin, die bei ihrem Tanz „durch die Nacht“ scheinbar wirklich jede Schwerkraft besiegt und überwunden hat.

Was dann noch folgt, ist purer Bühnen-Sprengstoff. Das Arrangement von „Achterbahn“, das nach zwei Strophen und zweimal Refrain das Publikum direkt in einen technohaften Hallenrausch zieht, stammt noch aus der 2018-Tournee; auf dem Höhepunkt singt sie immer wieder die Zeile „Spürt ihr das?“, dazu erscheinen die einzelnen Worte riesig auf der Leinwand, und allerlei Feuer flammt auf, bevor zum Abschlussruf ein Schnipselregen über die Halle verschossen wird. Nichts weniger als ein veritabler kleiner Konzertexzess für die ganze Familie. Und ein Showteil von internationalem Format.

Zum Schluss: Helene Fischer ganz allein

Aber immer wenn man denkt, jetzt kann nichts mehr kommen, mehr geht nicht, kommen plötzlich doch noch ein, zwei Zugaben: Ihren Titel „Blitz“ präsentiert die Fischer als Rocknummer mit viel E-Gitarre und wiederum im konsequent international arrangierten Stil. Immer noch eine Schippe drauf, immer noch eine Melodierunde mehr – da ist wirklich gar nichts mehr von Schlager und erst recht nicht von „Frühlingsfesten der Volksmusik“, das ist großes Entertainment.

Und wie bindet man einen solchen Konzertsack jetzt noch zu? Indem man zum Abschluss ganz allein vorn auf der Bühne steht und „Alles von mir“ singt, eine schöne Ballade vom jüngsten Album „Rausch“. Eigentlich ist es eine Liebeserklärung an einen Partner oder eine Partnerin, den oder die man neu gefunden hat. Aber in diesem Augenblick kann sich hier das Publikum angesprochen fühlen, jeder Zuschauer, jede Zuschauerin: „Ich geb dir alles / Alles von mir“ – am Ende einer Show ist das natürlich nur ein Versprechen. Aber es für einen Moment lang zu glauben, kann wohl ein Glück sein. Zusammen mit dem Wissen: Es ist so wie früher. Und doch wird es auch neu.

Kleines PS: Eine Kollegin fragt am Rande des Konzerts: „Aber warum macht die Fischer das jetzt fünf Mal in Stuttgart?“ Warum sie das macht? Weil sie es kann.

Helene Fischer auf Tournee

Termine
 Am 5., 6. und 7. Mai 2023 ist Helene Fischer nochmals in der Stuttgarter Schleyerhalle zu erleben. Nach Angaben des Veranstalters sind diese Konzerte zu 98 Prozent ausgebucht. Mit anderen Worten: Noch gibt es Restkarten auf den Internetportalen der Tickethändler der Veranstaltungsbranche; am Dienstag war auch die Abendkasse geöffnet.

Reise
 Nach Stuttgart geht es für die Künstlerin, ihre Band, die Tänzer und die Akrobaten der kanadischen Kompanie Cirque du soleil weiter nach Bremen, Oberhausen und Berlin. Vom 6. bis 11. Juni gastiert sie in der SAP-Arena in Mannheim. Es folgen Hannover, Köln, Wien, Arnheim in den Niederlanden, Zürich und München. Die Tournee endet am 8. Oktober mit einem Auftritt in der Frankfurter Festhalle.

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