Zum Abschluss des Stuttgarter Kabarettfestivals gastiert Konstantin Wecker in der Liederhalle. Es wird ein Abend voll guter, alter Ideale, aber auch voll guter, bewegender Musik.

Stuttgart - An der Bar kosten 0,2 Liter eines profanen Softgetränks drei Euro. Der Dreisatz verrät: Ein halber Liter Cola, das macht dann 7,50 Euro. Man befindet sich jedoch nicht auf dem überteuerten Frühlingsfest. Hier erklingt kein Bierzeltgeheul. Hier, in der Liederhalle, wird vielmehr an diesem Abend Kapitalismuskritik geäußert. Konstantin Wecker ist zu Gast.

 

Dann ist die Pause vorbei, der Hegelsaal füllt sich wieder. Das Publikum singt das alte Lied: „Die Gedanken sind frei.“ Wecker, rote Hose, graues Hemd, kümmert sich um neue Strophen: „Die Gedanken sind frei, / solang sie nicht stören, / doch auf Verderb und Gedeih / weißt du, wem sie gehören. / Monsanto und Banken / und den Öllieferanten, / den Algorithmen von Google, / besser gib dir die Kugel, /dann ist alles vorbei – /die Gedanken waren frei.“

Im Grunde wollten die Gäste nach jedem Titel im Stehen applaudieren. Das ginge aber zu sehr aufs Kreuz. Am Sonntag endete das 24. Stuttgarter Kabarettfestival. Ein Feuerwerk gab’s nicht. Weshalb auch? Was Konstantin Wecker am Finalabend abgefackelt hat, hätte der kreativste Pyromane nicht in die Aprilnacht dieses großartigen Konzerts ballern können.

Fairerweise muss man sagen: Er war nicht allein. Auf der „Ohne Warum“-Tour unterstützen ihn die Cellistin Fany Kammerlander, der Perkussionist Wolfgang Gleixner und der Pianist Jo Barnikel, der mit Wecker seit Dekaden musiziert. Und eben die 28-jährige Sänger- und Gitarristin Cynthia Nickschas. Heilige Hecke – was für eine Stimme! Die sorgt selbst bei den gefühlskältesten Emotionseiswürfeln für Gänsehautausschlag. Oder für vorübergehenden Objektivitätsverlust: Der Autor dieses Textes kann nicht zur Gänze ausschließen, dass er während Nickschas‘ Janis-Joplin-Hommage „Mercedes Benz“ temporär amouröse Gefühle hegte.

Und nun zum Wecker: Wer sich nach 68 Erdenjahren seinen Idealismus bewahrt hat, kann angesichts gängiger Globalgeschehnisse als Phänomen bezeichnet werden. „Es hat sich nichts an meiner grundsätzlichen anarchistischen Einstellung geändert“, verkündete er gleich zu Beginn. „Ohne Warum“, den titelgebenden Song seines letztjährig erschienenen Albums, gab’s indes erst ganz am Ende. Warum? „Weil dieses Lied so wertvoll ist, dass es nur noch die hören sollen, die jetzt noch hier sind“, erklärte der Münchner nach drei Stunden.

Wecker hat sich nicht nur die Fähigkeit bewahrt, mit seinen Gedichten und Kompositionen Sozialistenseelen zu streicheln. Sogar verhärmte Zyniker brachte diese Show dazu, ihren Nachbarn zu umarmen. Er hat auch noch immer originelle Ideen: Seine Kollegen, allesamt Multiinstrumentalisten, begleiteten ihn zum Song „Es geht uns gut“ auf Smartphones und Tablets. Schlagzeug, Bass, Orgel – alles aus der App und erstaunlich harmonisch.

Ob beim stimmungsvollen, von Drums und Nickschas’ E-Gitarre getriebenen „Revolution“ oder dem Klassiker „Sage Nein!“ mit Wecker am Flügel: Es schwingt in jeder Sekunde mit, der Liedermacher hält die Revolution, das Umdenken, den Frieden für möglich. Daraus zieht er seine Energie. Er glaubt daran, dass „vor der Kraft der Utopien / die selbsternannten Realisten fliehen.“ Wohl auch daran, dass Traditionswähler eines Tages erkennen, dass es nichts Stupideres gibt als Traditionswähler. Abgesehen von sogenannten Protestwählern populistischer Stimmungsparteien.

Und vielleicht glaubt ja auch Weckers Zuhörerschaft an den Aufstand für eine bessere Welt. Ein Indiz dafür könnte die eingangs erwähnte Standing-Ovations-Bereitschaft sein. Denn wer sich erhebt, kann sich nicht nur wieder setzen. Er kann sich auch widersetzen.