Soll keiner mehr sagen, man bekomme die Kirchen nur noch an Weihnachten voll. Beim ersten Freikonzert in der Marienkirche kamen so viele, dass sich der Einlass um fast eine Stunde verzögerte. Doch was danach kam, war toll.

Psychologie/Partnerschaft: Nina Ayerle (nay)

Stuttgart - Einen Ansturm wie am Freitagabend hat die Stuttgarter Marienkirche in der Tübinger Straße wohl länger nicht mehr erlebt. Für Anwohner und Passanten bot sich dort ein ungewöhnliches Bild: Kurz nach halb sieben war der Vorplatz der Kirche voll mit Menschen. Doch die rund 700 Wartenden stellten sich nicht etwa für einen Gottesdienst an, sondern für das erste Freikonzert des gleichnamigen Stuttgarter Vereins an. Die Macher Reiner Bocka und Tobias Reisenhofer starteten am Freitagabend ihr Pilotprojekt. Die Idee ist, große Live-Konzerte mit bekannten Bands an ungewöhnlichen Orten zu veranstalten – ohne Eintritt zu verlangen.

 

Als erste Location hatten Bocka und Reisehofer die katholische Kirche St. Maria gewählt. Zu Gast waren die Holländer „Mister and Mississippi“ und als Headliner die Indie- und Dreampop-Band „Me and my Drummer feat. Kat Frankie“ aus Berlin. Ein Popkonzert in der Kirche und das ganze für umme – dieses Konzept lockt Massen. Mit einem derartigen Andrang hatten die Organisatoren wohl nicht gerechnet, die Besucher mussten zunächst einmal viel Geduld haben. Der für 19 Uhr angekündigte Einlass verzögerte sich um gut 50 Minuten. Bei den ersten Gästen sorgte dies für Unmut. „Das ist natürlich scheiße“, sagte der 31-jährige Johny Varsami deutlich. Vor allem sei es nicht ersichtlich, warum man so lange auf den Einlass warten müsse. „Wird hier jeder am Eingang getauft?“, fragte er.

Andere waren vom Warten zwar genervt, ließen sich aber nicht beirren. So war Annette Hildenbrand wegen „Me and my Drummer“ aus Tübingen gekommen. „Ich freue mich drauf und bin deshalb noch guter Dinge“, sagte sie. „Ich bin ein großer Fan, deshalb nehme ich das in Kauf.“

Das Warten lohnt sich

Doch diejenigen, die es in die Kirche geschafft hatten, wurden belohnt. „Es ist eine besondere Atmosphäre hier“, befand die 28-Jährige Stuttgarterin Elisa Beinhauer. Toll fand sie, dass Pfarrer Paul Kugler sich vorgestellt habe und um einen Moment der Stille in seiner Kirche gebeten hatte. „Das ist alles sehr persönlich und authentisch“, meinte sie. Auch das Konzept des Vereins Freikonzerte gefällt ihr. „Das sollte die Beiden unbedingt weiter verfolgen.“

Zufrieden zeigte sich auch Reiner Bocka. „Ich bin überwältigt von dem Andrang“, sagte der Galao-Chef. Die Atmosphäre in der Kirche, der Sound, alles sei wunderschön. „Wir haben bewusst Bands ausgewählt, die entspanntere Musik machen“, sagte er. Das habe nun in der Kirche auch toll gewirkt. Eine Fortsetzung der Freikonzerte werde es auf jeden Fall geben, so Bocka. Und die Probleme beim Einlass? „Beim ersten Mal kann nicht alles gleich super laufen“, meinte Bocka.

Interessant fanden viele Besucher vor allem die Location. Ein Popkonzert in der katholischen Kirche? Für den Hausherr, Pfarrer Paul Kugler, war die Idee ungewöhnlich, aber nicht abwegig. Er kenne Reiner Bocka schon lange und habe sich deshalb überzeugen lassen. „Ich habe großes Vertrauen in ihn“, sagte Kugler. Die Leute, die Bocka versammle, seien in der Regel friedlich. Dennoch verstehe er es, wenn sehr religiöse Menschen sich mit dem Gedanken schwer tun. „Aber das Ganze hat auch etwas sehr Positives“, befand er. „Einer so große Menge an Menschen sitzt hier gemeinsam in der Kirche und hört friedlich Musik. Das hat für mich auch etwas religiöses“, so die Meinung Kuglers.