Der Korntaler Pianist Jens Fuhr hat nach Kriegsbeginn die Ukrainerin Marharyta Ushakova bei sich zuhause aufgenommen. Beide musizieren nun auch zusammen.

Nur mit einem Rucksack mit wichtigen Dokumenten, ein paar T-Shirts und Kosmetik verlässt Marharyta Ushakova vergangenes Jahr ihre Heimat. Keine zwei Wochen nach Kriegsbeginn in der Ukraine flüchtet die 25-Jährige mit ihrer Mutter aus der Millionenstadt Charkiw. Geht, habe ihr Vater gesagt. Er selbst muss bleiben, kümmert sich um Marharyta Ushakovas Großmutter. Die junge Frau erinnert sich daran, dass es nicht einfach gewesen sei, aus der Stadt wegzukommen. „Alle wollten raus.“ Viele Züge seien gefahren, dennoch habe es zu wenig Plätze für alle gegeben. Marharyta Ushakova und ihre Mutter harren im Bahnhofsgebäude aus, bevor sie ihre dreitägige Reise nach Deutschland starten. Sie kommen in Wismar bei einer Freundin Ushakovas unter.

 

Die Mutter arbeitet heute als Klavierlehrerin in Wismar. Dagegen hat es Marharyta Ushakova nach Korntal verschlagen – 458 Menschen aus der Ukraine registriert die Stadt insgesamt in privaten Wohnungen und städtischen Unterkünften. Marharyta Ushakova lebt bei Jens Fuhr, dessen Frau und Sohn. Beide eint die Liebe zur Musik – sie sind Pianisten, nennen sich mit einem Lachen „klavierverrückt“. An diesem Freitag gibt das Duo gemeinsam ein Benefizkonzert.

„Menschen sind wichtiger als Dinge“

Marharyta Ushakova, die schon 15 internationale Preise gewonnen hat, studierte in Charkiw unter anderem Klavier, später war sie an der Uni als Korrepetitorin angestellt – sie begleitet Musiker am Klavier, was auch Jens Fuhr an der Hochschule der Künste in Zürich tut. Kennengelernt haben sie sich, weil Marharyta Ushakova über ein Austauschprogramm an die Musikhochschule in Stuttgart kam. Sie habe sich weiterentwickeln wollen, erzählt die junge Frau. Also bewarb sie sich bei Hochschulen; Stuttgart nahm sie an. Jens Fuhr wiederum hat dort Kontakte. Er erfuhr von dem Programm und bot spontan Unterschlupf für Geflüchtete an. Wenig später stand Marharyta Ushakova vor seiner Tür, die, wie er sagt, perfekt Klavier spiele. Sie fühle sich wohl, sagt Marharyta Ushakova über ihre „gastfreundliche Familie“. Nachdem sie alles verloren habe, finde sie nach und nach ihren Platz im Leben – das sie jetzt anders verstehe nach all ihren Erlebnissen. „Menschen sind wichtiger als Dinge“, stellt Marharyta Ushakova fest. Man brauche weniger, als man habe. Wichtig sei, die Zeit zu schätzen und alles zu tun, was man wolle, „jetzt und heute, sonst ist es zu spät“.

Der Gesangsbegleiter Jens Fuhr sagt, er sei dankbar, helfen zu können. Etwas für Menschen zu tun, sei ein wichtiger Fokus, den man in dieser Zeit nicht verlieren dürfe. „Wahnsinnig emotional“ sei das Thema für ihn, so Fuhr. „Ich fühle mich den Menschen verbunden, auch den russischen Studenten.“ Als jemand, der Musiker ausbildet, interessiere es ihn immer, wie es den Leuten geht.

Flucht in eine andere Welt

Marharyta Ushakova unterrichtet nun an einer privaten Musikschule, parallel schreibt sie ihre Doktorarbeit. Künftig will sie mehr unterrichten, mehr Erfahrung sammeln und weiterstudieren. „Ich liebe meinen Beruf und hoffe, dass meine Schüler das fühlen.“ Sie versuche sie zu motivieren mit dem Ziel, dass sie einmal ohne Angst auf der Bühne spielen. Sie wolle eine Lehrerin sein, die sich ebenfalls auf der Bühne wohl und fit fühlt. Bloß das „Musikdeutsch“ müsse sie noch besser lernen. Marharyta Ushakova lacht.

Auf das Konzert am Freitag mit Werken von Debussy, Chopin, Liszt oder Schubert freut sie sich sehr. Nicht nur, weil vor Publikum zu spielen für ihre Karriere nötig ist. Aufzutreten und die leuchtenden Augen der Menschen zu sehen, sei ein wunderbares Gefühl, sagt Marharyta Ushakova. „Ich gerate in eine andere Welt.“ In der sie weder ans Geld denkt noch an den Krieg. „Das rettet mich manchmal sehr.“ Spielen helfe ihr, sich stabil zu fühlen, neue Energie zu schöpfen. „Ich bin eine emotionale Person. Ich brauche Energie, um Emotionen zu spielen.“ Spüre das Publikum diese, habe sie ihr Ziel erreicht. Der Klang sei ihr wichtiger als die Technik.

„Jeder verdient es, würdevoll zu feiern“

Von den Spenden erhalten Kinder in Baschtanka Weihnachtsgeschenke. Korntal-Münchingen hat der ukrainischen Stadt schon einen Bus und Generatoren geschenkt. Viele Kinder in der Ukraine, berichtet Marharyta Ushakova, seien ohne Eltern oder hätten Eltern, die sich keine Geschenke leisten können. „Jeder verdient es, würdevoll zu feiern – besonders Kinder Weihnachten.“

Das Konzert am 24. November in der Stadthalle Korntal geht um 20 Uhr los. Der Eintritt ist frei. www.korntal-muenchingen.de/baschtanka.