Ein stiller Kämpfer gegen Korruption: Der Mainzer Psychiatrieprofessor Klaus Lieb wird am Montag für den Kampf um saubere Medizin ausgezeichnet.

Mainz - Sein Schlüsselerlebnis hat Klaus Lieb (47) als frischgebackener Oberarzt gehabt. Auf Einladung eines Arzneimittelkonzerns war er 2002 bei einem Kongress in Yokohama, ließ sich von einer Rikscha durch die Stadt ziehen, neben sich eine „ärmlich wirkende“ Pharmareferentin, vor sich den Rikscha ziehenden Kuli. In dem Moment fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. „Was mache ich hier eigentlich?“, habe er sich gefragt. „Ich lasse es mir gutgehen. Aber auf wessen Kosten?“ Lieb, der in Ulm, Tübingen und Los Angeles Humanmedizin und Philosophie studiert hatte, sah vor seinem inneren Auge einen Patienten die Rikscha ziehen. Denn indirekt gehe der „enge Schulterschluss“ zwischen Ärzten und Pharmaindustrie zu dessen Lasten, die Tradition des Sponsoring von Fortbildungen und das beharrliche Wirken der Pharmareferenten gefährde die Unabhängigkeit der Ärzte. Am heutigen Montag wird Lieb in Leipzig der Titel „Hochschullehrer des Jahres“ überreicht – als Dank für seinen Einsatz für eine „integere Wissenschaft“.

 

Klaus Lieb ist seit 2007 Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz. Im selben Jahr half er bei der Gründung des Ärzteverbandes Mezis („Mein Essen zahl ich selbst“), der nach dem Vorbild der US-Bewegung „No-free-Lunch“ gegründet wurde. Lieb sitzt im schicken Büro seiner Klinik im Lederfauteuil und freut sich lachend über den Preis: „Der hat mich wirklich überrascht.“ Der Deutsche Hochschulverband, der den Titel verleiht, habe 27 000 Mitglieder – eine beeindruckende Zahl im Vergleich zum Verband Mezis. Der zählt 412 wackere Ärzte – das sind nur 0,2 Prozent der niedergelassenen Ärzteschaft.

Er glaube, sein Berufsstand habe einen „blinden Fleck“, sagt Lieb. Viele Ärzte seien überzeugt, sie könnten Geschenke wie Büromaterial, Essenseinladungen und Fortbildungen akzeptieren und trotzdem völlig frei in ihrem Handeln sein. Das Bild vom „Saubermann“ ist ihm übrigens zuwider. Aber er bemüht sich im Klinikalltag um Neutralität: keine Besuche von Pharmareferenten, keine von der Industrie bezahlte Weiterbildung. Das gehe für seine 30 bis 40 Klinikärzte ziemlich ins Geld, stöhnt der Direktor. Denn die Fortbildungsbudgets der Krankenhäuser seien knapp.

Er sei kein Feind der Pharmaindustrie, mit der kooperiere er in der Forschung, sagt Lieb. Die Freiheit der Ärzte sieht er auch durch ökonomische Zwänge gefährdet: „Wenn wir Marionetten der Gesundheitsindustrie werden, verspielen wir das Vertrauen der Patienten.“ Den moralischen Impetus hat Lieb von daheim mitgebracht. Er ist am Niederrhein geboren, wuchs aber in Ludwigsburg auf. Sein Vater habe das Baurechtsamt geleitet, eine Position, in der ständig Leute wegen Genehmigungen „um einen herumschwänzeln“: „Mein Vater war da sehr strikt.“ Der Sohn ist es wohl auch.