Das Betreuungsgeld ist extrem frauenfeindlich. Aber ohne Kindertagesstätten keine Kinder – meint unsere Kolumnistin Sibylle Krause-Burger.

Stuttgart - Warum nur wurden 1964 doppelt so viele Kinder geboren wie im vergangenen Jahr? Warum sind wir heute am tiefsten Punkt nach jenem Babyboom angelangt? Warum helfen in Deutschland weder Kindergeld noch Elterngeld noch Steuervorteile, die Gebärfreudigkeit anzuregen? Und warum wird auch das geplante Betreuungsgeld, so es uns denn tatsächlich ereilt, die Nachwuchsproduktion nicht beleben?

 

Die erste Frage ist leicht beantwortet. Die viel zitierten Babyboomer kamen in die Welt, weil die Sitten langsam lockerer wurden, die Antibabypille aber gerade erst anrauschte. Man war jung, hatte die entsprechenden Gefühle und traute sich was. Plötzlich war es nicht mehr so bedrohlich, dass der Vater mit erhobenem Zeigefinger vor jedem Rendezvous mahnte, man wisse doch, wie weit man zu gehen habe. Es gab ja die Verhütungsmethode nach Knaus-Ogino. Die führte allerdings fast unausweichlich dazu, dass man schwanger wurde. Kaum eine Ehe, die anno 1963 und in den folgenden Monaten geschlossen wurde und anders begonnen hätte.

Im Jahr darauf war alles vorbei. Der Pillenknick ereilte die Republik. Und seither geht es mit den Geburten steil bergab. Sie ereignen sich nicht mehr – sie werden geplant. Und da steht dann erst einmal anderes dem Kinderwunsch entgegen. Es sind lauter alte Bekannte: die berufliche Bildung der Frau, der berufliche Erfolg der Frau, Anschaffungen für die Wohnung, der Bau eines Hauses, Reisepläne, die man schon lange mit sich herumgetragen hat. Klamotten, Autos und was der moderne Mensch sonst noch so zu brauchen glaubt. Seltsam nur: diese Begehrlichkeiten gibt es auch in den übrigen westlichen Ländern. Trotzdem bekommen die Frauen dort mehr Kinder als bei uns. Das deutsche Fortpflanzungsunglück ist also von anderer Art.

Die Männer bleiben im Vorteil

Es hängt im Kern an einem ideologischen Beharren und hat mit dem jetzt im Betreuungsgeld neu auferstandenen Glaubenssatz zu tun, dass Mütter kleiner Kinder ins Haus gehören, dass es fast verbrecherisch oder zumindest sozialistisch ist, sie in einer Kita fremden Leuten anzuvertrauen. Den Abkömmlingen von Migranten mag das ja nutzen, nicht jedoch dem eigenen, dem hehren bürgerlichen Nachwuchs.

Von solchen Überzeugungen lebt ein Restbestand fort. Der Zeitgeist aber ist weiter und hat sich längst auf eine andere Seite hin bewegt. Der Zeitgeist schreibt uns vor, Männer und Frauen seien gleich und gleichermaßen für sich und für ihre Kinder zuständig. Schön wär’s. Im Falle einer Trennung erhält die Frau regelmäßig nach drei Jahren nur unter erschwerten Bedingungen noch Unterhalt vom Mann, auch wenn sie kleine Kinder aufzieht.

Als ob Kinder dann keine Aufsicht, keine besondere Zuwendung mehr bräuchten und niemals krank würden, ist sie gehalten, wieder zu arbeiten. Das jedoch erweist sich nicht immer, aber oft als sehr schwer, bisweilen sogar als unmöglich. Sofern sie, vorweg in der Wirtschaft, überhaupt unterkommt, wird sie gern auf einen untergeordneten Posten abgeschoben. Ohne Zweifel freilich hat sie Zeit, Freiheit, Karrierechancen und Rentenansprüche verloren, während der Erzeuger ihrer Kinder aufsteigt und tut, was er will. Die Männer sind fein heraus – es sei denn, sie wählen die Rolle des Hausmanns.

Alle Ungerechtigkeiten wären freilich zu vermeiden, eilte diese Gesetzgebung der Wirklichkeit nicht weit voraus und gäbe es hierzulande wie in Frankreich oder in Schweden die selbstverständliche Übung, Kinder tagsüber von klein auf außer Haus in guten Einrichtungen zu betreuen. Bei uns aber stehen die bürgerlichen Traditionen und hemmende Emotionen in einem krassen Widerspruch zur tatsächlichen Situation. Der Ausbau der Kitas, obwohl gesetzlich verankert, ist nicht entfernt in ausreichendem Maße vorangekommen. Zum Nachteil der Frauen. Sie müssen also im Falle, dass sie Kinder bekommen, mit verheerenden Folgen rechnen.

Kinderbetreuung bleibt fast ausschließlich Sache der Mütter

Sehr oft sind sie allein. Gewollt oder auch nicht. Die Ehe ist nicht mehr für jede und jeden erstrebenswert, sie ist „out“ und fast nur noch bei Schwulen und Lesben so richtig in Mode. Der Gesetzgeber hat ja die Frau ganz auf sich gestellt. Leider hat er nicht gleich mitbeschlossen, dass die Kinder künftig auch in Männerbäuchen wachsen sollen. So aber fühlen sich die Herren der Schöpfung häufig nicht in der Pflicht. Der Lebensabschnittsgefährte, eine flüchtige Erscheinung, hat Konjunktur. Folglich tragen alleinerziehende Mütter das größte Armutsrisiko in unserer Gesellschaft. Aber selbst wenn die Väter Familienväter sein wollen, ja sogar, wenn sie die Väterzeit in Anspruch nehmen, bleibt die Kinderbetreuung für längere Zeit immer wieder fast ausschließlich Sache der Mütter. Der liebe Gott hat es so gewollt, und der liebe Bundestag hat das einfach nicht länger hinnehmen wollen. Er hat gleich zu machen versucht, was von Natur aus unwiderruflich ungleich ist.

Doch erst wenn diese Ungleichheit in der Wirklichkeit durch Entlastung der Mütter bei der Betreuung der Kinder ausgeglichen ist, wenn Frauen von Familienpflichten so frei sind wie normalerweise die Männer, erst dann machen unsere fortschrittlichen Gesetze Sinn. Das Betreuungsgeld aber, so es kommt, dieser Anreiz für Mütter, zu Hause zu bleiben, steht dem diametral entgegen. Es ist extrem frauenfeindlich. Lasst euch nicht locken, Schwestern. Ich aber verneige mich derweil vor jedem Babybauch, der mir hierzulande noch begegnet.