Wegen der Straßenkrawalle in Frankreich sagt Präsident Macron seinen Besuch in Deutschland ab. Die Polizei rüstet derweil gegen die Ausschreitungen auf.

Korrespondenten: Stefan Brändle (brä)

Alles ist relativ – auch die Krawalle in Paris sind es. Innenminister Gérald Darmanin sprach am Sonntag von einer „ruhigeren Nacht“. Zu verdanken sei dies dem „entschlossenen Vorgehen der Polizei“, fügte der Minister an, dessen Regierung unter starkem politischem Druck steht. Im Ballungsraum Paris, wo mehr als zehn Millionen Menschen leben, kamen zusätzliche Hubschrauber zum Einsatz. Sie erlauben es den Bodentruppen, die Bewegungen der äußerst mobilen und offenbar sehr entschlossenen Schlägerbanden zu verfolgen.

 

Krawalle auch in der Schweiz

In der südfranzösischen Metropole Marseille, einem wichtigen Ankunftsort nordafrikanischer Einwanderer, setzte die Polizei erstmals gepanzerte Fahrzeuge ein. Rund um den alten Hafen lieferten sich vermummte Jugendliche stundenlange Straßenschlachten mit der Polizei. Wie in der Nacht zuvor standen landesweit 45 000 Polizisten und mehrere Tausend Feuerwehrleute im Einsatz. Nachdem die Krawalle im Verlauf der Woche auf Vororte der belgischen Hauptstadt Brüssel übergegriffen hatten, kam es am Wochenende auch in der frankophonen Westschweiz zu Krawallen.

In Frankreich kam es in der Nacht auf Sonntag offiziell zu 719 Festnahmen, knapp die Hälfte davon in Paris. Diese Zahlen zeugen von einem gewissen Rückgang der Krawalle, die nach dem Tod eines 17-jährigen Autofahrers nordafrikanischer Herkunft durch einen Polizeischuss ausgelöst worden waren. In den beiden Vornächten waren jeweils mehr als tausend Randalierer – am Samstag gar 1311 – festgenommen worden.

Ruhig verlief am Samstag die Beisetzung von Nahel M. an seinem Wohnort Nanterre westlich von Paris. In der Universitätsstadt, von wo 1968 die Studentenunruhen ausgegangen waren, versammelten sich mehrere Hundert Trauergäste; viele nahmen an einer Abdankung in der lokalen Moschee teil.

Fahrzeug landet im Wohnhaus

Während die Zahl der Festnahmen rückläufig ist, haben allerdings die Intensität und der Gewaltpegel der Ausschreitungen bis in kleine Provinzstädte erneut zugenommen. Im Pariser Vorort L’Haÿ-les-Roses wurde ein als Rammbock benutztes Fahrzeug mitten in der Nacht in das Wohnhaus des Bürgermeisters katapultiert. Der Effekt wurde noch verstärkt durch Brandbeschleuniger, den Ermittler in Flaschen im Auto fanden. Bürgermeister Vincent Jeanbrun war gar nicht anwesend, da er auch die Nächte im Rathaus verbringt, um die Rettungsaktionen so weit wie möglich zu überwachen. Seine Frau und zwei fünf- und siebenjährige Kinder mussten hingegen durch eine Hintertür aus dem brennenden Haus fliehen – sie wurden von den Gewalttätern bis in den Garten verfolgt. Die Mutter wurde mit einem Knochenbruch ins Krankenhaus eingeliefert; auch ein Kind wurde verletzt.

Ein neues Phänomen sind ferner die Plünderungen von Supermärkten und Einkaufszentren. Entlang von Ladenstraßen wie der Pariser Prachtavenue Champs-Élysées vernageln viele Ladenbesitzer ihre Schaufenster mit Holzbrettern. Das hält die gezielt vorgehenden Plünderer aber nicht ab. Oft machen sie die Überwachungskameras mit Sprayfarbe blind, bevor sie die Schaufenster einwerfen oder die Holzverschalungen abreißen. Die Polizei kommt meist zu spät, oder sie wird mit Feuerwerkböllern so massiv eingedeckt, dass sie zurückweichen muss.

Macron sagt Besuch in Ludwigsburg ab

Finanzminister Bruno Lemaire gab am Samstag bekannt, dass in Frankreich mehr als 700 Läden und Märkte, aber auch Restaurants und Bankfilialen geplündert worden seien. Emmanuel Macron sagte am Samstag nach einer Besprechung mit dem deutschen Präsidenten Frank-Walter Steinmeier seinen dreitägigen Staatsbesuch in Ludwigsburg, Berlin und Dresden ab.

Innenpolitisch ist der französische Präsident unter Druck, da die Rechte die Ausrufung des Notrechts verlangt sowie andere Maßnahmen zur Wiederherstellung von Recht und Ordnung. Zum Teil fordert sie sogar den Einsatz der Armee.