Viktor Schenderowitsch ist einer der bekanntesten Satiriker Russlands. Im Interview erklärt er, warum er in seiner Heimat nicht mehr auftreten kann, welche Putin-Witze er gerne erzählt – und wie sich die Mentalität seiner Mitbürger verändert hat.

Viktor Schenderowitsch gilt als einer der berühmtesten Journalisten und Politsatiriker Russlands. Dennoch kann der 57-jährige Putin-Kritiker in seiner Heimat nicht mehr auftreten. Ein Gespräch über den Charakter Wladimir Putins und den Stolz des russischen Volkes.

 
Herr Schenderowitsch, als politischer Satiriker können Sie bestimmt einen Witz über Wladimir Putin erzählen.
Aber natürlich. Während der Haft von Michail Chodorkowski (ein putinkritischer Oligarch, d. Red.) erzählte ich gerne folgenden Witz. Putin bekommt nachts Durst und öffnet seinen Kühlschrank. Da erbebt ein großes Stück Sülze, das dort auf einem Teller liegt. Putin schaut zufrieden und sagt: „Kein Grund zum Zittern, heute komme ich nur für ein Glas Kefir.“ Oder dieser hier: Putin ist auf der Suche nach einem Nachfolger. Um einen der Kandidaten zu testen, fragt er ihn: „Wie viel ist zwei mal zwei?“ Der Kandidat antwortet wie aus der Pistole geschossen: „Na wie immer: eins für mich und drei für Sie.“ Die meisten Putin-Witze drehen sich um die neue Angst, die in Russland Einzug gehalten hat, oder um die Korruption.
Haben Sie Schwierigkeiten, in Russland mit solchen Witzen aufzutreten?
Momentan sind alle meine Auftritte abgesagt. Wenn man vom Westen aus in Richtung Osten schaut, kann ich maximal noch in Charkiw in der Ostukraine auftreten. Als Nächstes kommt dann Tokio. (lacht) Deswegen trete ich immer öfter vor russischem Publikum im Ausland auf – das im Übrigen dank Putin wächst. Gerade in den USA kann man eine putinbedingte Emigration gut gebildeter Russen beobachten.
Mit welcher Begründung werden Ihre Veranstaltungen in Russland abgesagt?
Ach, manche sagen ganz offen, dass ich in ihren Räumen nicht mehr auftreten darf. Manche behaupten, ihr Saal sei ausgebucht. Andere sagen fast entschuldigend: „Herr Schenderowitsch, das müssen Sie doch selbst verstehen . . .“ Ja, sage ich dann, ich verstehe.
Wie politisch ist Ihr Programm?
Ich würde sagen, ein Drittel ist politisch. Aber wissen Sie, der Inhalt spielt inzwischen gar keine Rolle mehr. Mein Name reicht völlig aus. Vor nicht allzu langer Zeit wollte ich ein völlig unpolitisches Theaterstück in Moskau uraufführen lassen. Der Saal mit tausend Plätzen war bereits ausverkauft, da wurde die Vorstellung einfach abgesagt.
Haben Sie Wladimir Putin einmal persönlich getroffen?
Ja, das war 2001, als er meinen damaligen Arbeitgeber, den Fernsehsender NTW, auseinandernahm. Zuvor lud er mich und einige Kollegen in den Kreml ein. Er hat uns angelogen und uns dabei in die Augen gesehen. Seither ist mir klar, wie skrupellos dieser Mann ist.
Wie würden Sie seinen Charakter beschreiben?
Diese Frage kommt mindestens 15 Jahre zu spät. Ich denke, er hat in der Zwischenzeit klar gezeigt, was für ein Mensch er ist. Er strebt nach absoluter Kontrolle. Seine Gegner diskreditiert oder verängstigt er – und das auf eine erschreckend beiläufige Art und Weise.