Etwa 20 000 Infanteristen und Reiter gehen in der Ebene von Marathon an Land. Ein Heer, dem der Ruf vorauseilt, unbesiegbar zu sein. Angesichts der drückenden Überlegenheit plädieren athenische Bürger für die Kapitulation. Nicht so der Stratege Miltiades, der für eine offene Feldschlacht gegen die Perser ist. Sein Wort hat Gewicht, denn er kennt die Kriegsmaschine des Dareios durch seine Beteiligung am Ionischen Aufstand.
11 000 Mann versperren den Persern den Weg
Um den Persern den Weg ins Landesinnere zu versperren, macht sich auf seinen Vorschlag hin ein 10 000 Mann starkes Heer auf in die rund 40 Kilometer entfernt gelegene Ebene von Marathon. Gleichzeitig wird ein Tagesläufer nach Sparta geschickt, um Beistand zu erbitten. Die Spartaner seien dazu bereit gewesen, berichtet der griechische Historiker Herodot, doch sie feiern gerade das Fest der Karneen zu Ehren des Gottes Apollon und dürfen nicht ausrücken.
Das athenische Heer, verstärkt durch 1000 Krieger aus Platää, erreicht das Aufmarschgebiet, bevor sich der Feind in Bewegung setzt. Mehr noch: Sie verschanzen sich am Rand der zum Meer hin abfallenden Ebene und blockieren nun den Weg ins Landesinnere. Tatenlos belauern sich beide Heere tagelang.
Nur um Nahkampf haben die Griechen eine Chance
Miltiades weiß: Für die Griechen gibt es nur eine Chance, den Nahkampf, denn die persischen Fußsoldaten tragen nur mit Metallplättchen verstärkte Lederkleidung und einen Turban, kämpfen mit kurzen Lanzen und Krummsäbeln. Kein Vergleich zu den Griechen, deren Kopf ein Helm mit Wangenklappen schützt, die einen großen Schild haben, zudem Beinschienen, meterlange Speere und Schwerter. Die gefährlichste Waffe der Perser sind die Reiterei und die Bogenschützen. Auf freiem Feld hätten ihnen die Griechen nichts entgegenzusetzen.
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Die Athener setzen auf die Phalanx, eine Schlachtreihe aus schwer bewaffneten Bürgersoldaten, in der jeder den anderen mit dem Rundschild (Hoplon) deckt, in der Mann neben Mann, Schulter an Schulter marschiert, die Lanzen wie ein stählerner Igel auf den Gegner gerichtet. Diese menschliche Wand aus Bronze und Eisen war weit mehr als eine gut funktionierende Schlachtreihe, sie war Ausdruck eines neuen Selbstverständnisses, in dem jeder Kämpfer für den anderen Verantwortung trug.
Freiheit oder Versklavung
Die Hopliten, benannt nach dem Rundschild, sind freie Bürger, die ihre Polis verteidigten. Und ihre Freiheit, die sich die Athener nach Jahrzehnten der Tyrannenherrschaft erstritten hatten, wollten sie auf keinen Fall wieder einbüßen. Freiheit oder Versklavung, lautete die Parole am Vorabend der Schlacht von Marathon.
Die Entscheidung zum Angriff fällt, als Späher melden, die Perser würden heimlich Truppen einschiffen, um diese nach Athen zu führen. Miltiades befiehlt die Aufstellung. Die schwer bewaffneten Hopliten, in acht Reihen gestaffelt, jede davon mehr als ein Kilometer lang, marschieren in die Ebene hinab.
Weltgeschichte in der Schwebe
Dies war wohl der Moment, von dem Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831) meinte, dass damals „der Lauf der ganzen Weltgeschichte zitternd in der Schwebe hing“. Tatsächlich stand bei den Versuchen der Perser, sich Griechenland untertan zu machen, sehr viel mehr auf dem Spiel als die Unabhängigkeit jener Städte. Denn als Untertanen eines fremden Königs hätten die Athener nie die Möglichkeit gehabt, ihre demokratische Kultur zu entwickeln.
Rund 1,5 Kilometer trennen die beiden Armeen. Streng auf Gleichschritt achtend rücken die Bürgersoldaten bis auf 200 Meter an den Feind heran. Miltiades weiß, dass die persischen Bögen 150 bis 180 Meter weit schießen. Und dann geschieht etwas Unerwartetes: Die Phalanx geht vom Marsch in den Lauf über und unterläuft so den Pfeilhagel. Trotz ihrer schweren Rüstungen von mehr als 30 Kilogramm sind die Hopliten binnen einer Minute heran.
Mit voller Wucht in die gegnerischen Linien
Ihre ersten drei Reihen senken die Speere und prallen mit voller Wucht auf die persischen Linien, um danach in den Nahkampf überzugehen. In dem schweren Gefecht bleiben die Perser im Zentrum zwar erfolgreich, ihre Flügel aber, wo nur Hilfstruppen ohne Flankenschutz der Reiterei stehen, brechen zusammen.
Glaubt man den antiken Chronisten, fallen 6400 Perser. Der Rest flüchtet auf die Schiffe und sticht in See. Die Athener, die nur 192 Tote zu beklagen haben, kehren in einem Gewaltmarsch in ihre Stadt zurück und vereiteln damit den Plan der Perser, diese von See her doch noch einzunehmen.
Der Sieger schreibt die Geschichte
So beschreibt Herodot zwei Generationen später die Schlacht. Und da Sieger Geschichte schreiben, prägt ihre Deutung das Bild der Nachwelt. Danach habe Athen „ganz auf sich allein gestellt“ die Perser bezwungen und verhindert, dass „ganz Griechenland den Tag der Knechtschaft sah“. Ein Narrativ, das sich tief ins kollektive Selbstverständnis der Stadt und ihrer Bürger einprägte.
Erstmals hatte eine griechische Armee eine persische in offener Feldschlacht besiegt. Doch Marathon war nicht nur militärisch bedeutsam, sondern auch politisch und psychologisch. Ideologisch überhöht und ins Mythische gesteigert wurde die Schlacht zu einer „Erinnerungsfigur der besonderen Art“, sagt der Althistoriker Karl-Joachim Hölkeskamp.
Heldenverehrung und Hybris
Die bald einsetzende Heldenverehrung machte die Kämpfer von Marathon, die im Krieg für die Freiheit gefallen waren, zu leuchtenden Vorbildern für nachkommende Generationen. Das Schlachtfeld selbst wurde zur „nationalen“ Gedenkstätte Athens. Um die Erinnerung an ihre Ruhmestaten wachzuhalten, wurde der Tag der Schlacht, vermutlich der 11. September, zum Feiertag erklärt und alljährlich mit Leichenreden und Sportwettkämpfen begangen. Künstler verewigten die Kämpfer mit Statuen und Gemälden, in den athenischen Theatern wurden die Recken als „Verkörperung besten Athenertums“ gefeiert.
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Der Sieg über ein überlegenes Invasionsheer stärkte das Selbstbewusstsein der aufstrebenden Polis Athen ungemein. Doch der Stolz der siegreichen Demokraten schlug schon bald in Hochmut um. Führende Politiker der Stadt wie etwa Perikles nutzten die gesteuerte Erinnerung an Marathon, um Athens Anspruch auf Vorrang, auf politisch-militärische Hegemonie über Griechenland, zu rechtfertigen. Ein Anspruch, der 50 Jahre später den Peloponnesischen Krieg auslöste, in dem das hochmütige Athen von seinem Erzrivalen Sparta besiegt wurde.
Der Fenchel gibt der Ebene den Namen
Vielleicht hätten die Athener auf den Dichter Hermippos hören sollen, der ihnen empfahl, man möge das Ganze nicht allzu hoch hängen und bei Marathon besser des Fenchels gedenken, dem jene Ebene ihren Namen verdankte (marathos, griechisch für „Fenchel“), weil sich dieser als Gewürz für eingelegte Oliven besonders eigne.